Die Zweitfrau
den Tisch, lege den Arm um ihn und sage:
„Es ist die Warterei wert gewesen, glaub mir. Es tut mir unendlich leid, dass uns nicht mehr Zeit bleibt füreinander. Ich habe es aber nicht bereut, auf dich gewartet zu haben. Ich liebe dich so sehr.“
Wir weinen beide ein wenig, drücken uns aneinander, versuchen, einer vom anderen ein wenig Kraft zu bekommen. Aber wir sind beide völlig ausgepowert, völlig kraftlos.
Dann ist es soweit, dass wir aufbrechen müssen. Ich hebe seinen Koffer auf und bringe ihn ins Auto, steige wieder die Treppen nach oben. Dort steht Peter in seiner Zimmertür und lässt seinen Blick noch einmal durch den Raum gleiten. „Tschüss“, sagt er, dreht sich um, geht in mein Zimmer, schaut auch dort hinein, bevor er ins Wohnzimmer geht. Dort angekommen, klammert er sich plötzlich an das alte Büffet seiner Großeltern und fängt bitterlich an zu schluchzen.
„Oh, was hat der Schrank schon alles mitgemacht. Erst den Tod der Großeltern, dann den meiner Tante, meiner Mutter und jetzt meinen“, weint er.
Ich fühle mich so hilflos, mir treten die Tränen in die Augen, ich gehe auf ihn zu, aber er wendet sich ab, sieht sich noch einmal um. Seine Augen suchen unsere Mieze, aber die ist schon seit geraumer Zeit unter meinem Bett verschwunden und lässt sich nicht sehen.
„Mach’s gut, Mieze“, ruft Peter ihr zu, geht dann zur Tür und steigt langsam, auf wackligen Beinen die Treppe hinunter. Unten angekommen dreht er sich nochmal um, schaut lange das Haus an. Sein Blick gleitet über alle Fenster, fast saugt er den Anblick in sich auf, dann steigt er ein. Wir fahren los. Auf meinen fragenden Blick sagt er:
„Es ist gut jetzt, es ist nur der Abschied gewesen. Es ist die richtige Entschei dung.“
Was soll ich darauf zu sagen? Ich schweige also. Dann sagt er plötzlich zu mir:
„Ich möchte dich um etwas bitten.“
„Alles was du willst, Liebling“, antworte ich ihm.
„Wenn es vorbei ist und die Trauerfeier stattfindet und Marlies kommt, wovon ich ausgehe, dann möchte ich nicht, dass sie abseits stehen muss. Ich erinnere mich an die Trauerfeier ihres Vaters. Da waren wir schon getrennt und ich stand etwas abseits. Sie hat mich dann zur Familie geholt.“
„Sag mal, was denkst du eigentlich von mir?“, frage ich ihn, „hier steht niemand abseits, das versteht sich für mich von selbst, dass sie bei uns steht. Mach dir darum keine Sorgen.“
„Ja ich weiß schon, wie du zu diesen Dingen stehst - aber ich will es einfach nochmal sagen.“
„Wir werden alles so machen wie du es möchtest, darauf kannst du dich verlassen.“
Er schaut mich an, nimmt meine freie Hand und sagt:
„Du bist eine gute Seele. Ich habe immer gewusst, ich kann mich auf dich verlassen. Und ich kann es auch jetzt.“
Ich antworte nicht darauf, aber ich streichele seine Hand.
Als wir im Hospiz ankommen, steigt er aus. Ich gebe ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er sich nicht um seine Sachen kümmern muss, ich werde alles tragen. Er nickt mir zu und durchschreitet die Tür. Ich nehme seinen Koffer und eine seiner Taschen und laufe ihm hinterher. Wir werden schon erwartet. Die Heimleiterin kommt uns entgegen, bietet ihm an, den Aufzug zu benutzen, aber Peter lehnt das ab:
„Die paar Stufen kann ich immer noch schaffen“, so sind seine Worte.
Die Leiterin wendet sich an mich:
„Wie geht es I hnen?“
Mit Tränen in den Augen gebe ich zu:
„Wir sind sehr traurig“.
„Dazu haben Sie auch alles Recht der Welt. Seien Sie traurig, weinen Sie. Nicht unterdrücken, weinen hilft der Seele.“
Ich nicke. Ach, wenn es doch so einfach wäre.
Sie begleitet uns in Peters letztes „Zuhause“. Es ist das Zimmer, das wir uns angesehen haben. Es sind frische Blumen auf dem Tisch, das Zimmer ist immer noch schön, aber es freut mich nicht. Sofort legt sich Peter in sein Bett, die kurze Fahrt hat ihn angestrengt. Also packe ich seinen Koffer aus, räume seine Kleidung in den Wandschrank, die Waschsachen stelle ich ins Bad. Dann warten wir, denn es wird uns mitgeteilt, dass gleich eine Schwester kommen wird mit einem Fragebogen. Sie kommt auch nach kurzer Zeit, stellt sich vor und schon sind wir mitten im Gespräch. Peter wird gefragt, wie lange er schon krank ist, was er gerne isst, welche Medikamente er dabei hat. Alle Informationen, die einen reibungslosen Ablauf gewährleisten sollen, werden erfragt. Dann wird uns gesagt, dass es immer um 12.00 Uhr Mittagessen gibt, das Abendessen findet um 18.00
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