Die Zweitfrau
brauchen wir uns nicht zu kümmern, alle Formalitäten werden vom Hospiz aus erledigt. Und da es sich bei Peters Krankheit um eine anerkannte Berufskrankheit handelt, gibt es da sicher keine Schwierigkeiten. Peter hat natürlich in der vergangenen Woche bereits mit Herrn Schneider gesprochen, der ihm auch schon mal vorab zugesagt hat, dass die BG die Kosten übernehmen wird. So ist alles zwischen uns geklärt und wir verabschieden uns voneinander.
Wieder daheim angekommen, besprechen wir alles noch einmal und sind beide der Überzeugung, dass das Hospiz sehr schön ist und man sich dort sicher gut um ihn kümmern wird.
Samstag geht es Peter sehr schlecht. Er erbricht alles, was er zu sich nimmt. In der Nacht schwitzt er übermäßig viel. Er hat Schmerzen, bleibt im Bett. Ich bin in großer Sorge, aber er wiegelt ab und meint, dass es schon geht.
Am Sonntag geht es ihm tatsächlich ein wenig besser, er steht auf, um zu frühstücken und isst etwas Brot, trinkt sogar Kaffee dazu. Anschließend legt er sich wieder hin. Es ist ein schöner Tag und ich schlage vor, wegen der frischen Luft etwas auf dem Balkon zu sitzen. Er versucht das auch, aber mittlerweile wiegt er nur noch so wenig, dass er sich nicht auf dem Liegestuhl halten kann. Er rutscht einfach immer wieder runter. Nach kurzer Zeit gibt er den Versuch deshalb auf. Als das Telefon klingelt, hebe ich in der Überzeugung, dass es meine Schwester ist, ab. Mir wird eiskalt, als sich eine Schwester aus dem Hospiz meldet, die mir mitteilt, dass Peter am Dienstag, den 29. Mai 2012 ein Zimmer beziehen kann, wenn er es will. Mir fehlen zunächst die Worte. Und die Schwester hat durchaus Verständnis für mich. Es ist immer überraschend und natürlich auch immer viel zu früh, wenn man sich definitiv entscheiden muss. Sie schlägt mir daher vor, mit Peter zu reden und später anzurufen und Bescheid zu geben. Aber ich bin bereits mit dem Hörer in der Hand in sein Zimmer geeilt und bitte die Schwester um einen Moment Geduld. Dann sage ich Peter, wer da am anderen Ende ist. Auch er ist verblüfft, Angst macht sich in seinem Gesicht breit. Wir blicken uns beide hilfesuchend an. Was sollen wir tun? Es geht alles plötzlich so schnell, damit haben wir nicht gerechnet. Dann nickt Peter mit dem Kopf und sagt einfach nur:
„Ja, ich komme.“
Dies gebe ich an die Schwester weiter, frage noch, ob wir zu einer bestimmten Zeit da sein sollen und sie bittet lediglich darum, vor 13.00 Uhr da zu sein. Nachdem ich mich bedankt habe, lege ich auf. Mir ist übel, ich habe Atemnot, kann nicht mehr klar denken. Alles dreht sich um mich und ich stehe neben mir selbst.
Ich hole tief Luft und gehe zu Peter ins Zimmer zurück. Er schaut mich an:
„Das ist ein schwerer Schlag. Darauf sind wir nicht gefasst gewesen, dass es so schnell geht mit einem freien Zimmer. Aber ich denke, es ist der richtige Weg.“
Ja, sicher ist es der richtige Weg, aber es tut weh.
Abends sitze ich bei ihm, knie vor seinem Bett. Neben mir sitzt unsere Mieze. Das ist ungewöhnlich. Sie ist immer nur in sein Zimmer gegangen, wenn er im Krankenhaus gewesen ist. Dann hat sie sich auf sein Bett gelegt, dort auf sein Wiederkommen „gewartet“. Ist er daheim, bleibt sie an der Zimmertür stehen, schaut hinein und geht dann wieder, wenn er sie nicht auffordert, das Zimmer zu betreten. Aber nun sitzt sie, wie selbstverständlich, neben mir. Wie eine Sphinx kauert sie und man hat den Eindruck, sie lauscht aufmerksam unserem Gespräch. Wir reden über viele Dinge, lassen noch einmal so viel wie möglich Revue passieren. Wie wir uns kennengelernt haben, wie sich alles entwickelt hat. Wir streifen längst vergessene Themen. Besprechen auch nochmal seine Wünsche, wenn er tot ist. Es ist eine eigenartige Nähe zwischen uns. Und immer wieder versichern wir uns unserer Liebe. Es ist schön und unsagbar traurig.
Am Pfingstmontag hat sich die Leiterin der Laufgruppe zu Besuch angemeldet. Es ist ihr wichtig, Peter noch einmal zu sehen und sie will ihn nicht im Hospiz besuchen. Von daher ist es für sie die letzte Möglichkeit. Als sie kommt, steht Peter auf und wir sitzen im Wohnzimmer. Die beiden halten sich an den Händen und reden miteinander. Peter fragt nach den anderen Mitläufern und sie erzählt ihm alles. Aber lange kann Peter nicht aufbleiben. Er geht wieder ins Bett. Sie und ich setzen uns auf eine Zigarettenlänge auf den Balkon und weinen. Als sie geht, verabschiedet sie sich mit tränenerstickter Stimme mit
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