Die Zweitfrau
schwer. Aber das kommt schon, nur keine Sorge.“
Ich nehme ihn in den Arm und sage ihm, dass ich ihn liebe und ich alles, wirklich alles, dafür geben würde, wenn ich ihm helfen könnte.
„Ja, ich weiß. Du würdest die Krankheit übernehmen, wenn es möglich wäre. Aber ich möchte dir sagen, dass du anschließend auf jeden Fall leben musst. Es wird dann Zeit, dass du wieder anfängst zu leben. Du hast die letzten drei Jahre ja nicht mehr für dich selbst gelebt, hast immer nur an mich gedacht. Also hab dann kein schlechtes Gewissen.“
Ich verspreche ihm, dass ich das versuchen werde.
Am Freitag geht es Peter sehr schlecht. Er hat starke Schmerzen und ab da bekommt er, mittels einer Pumpe ständig Morphium. So ist er natürlich schmerzfrei, aber er wird davon auch sehr müde. Dennoch, mit eisernem Willen besteht er auf unsere tägliche „Spazierfahrt“. Am Abend kann ich ihm dann berichten, dass sich der Autohändler gemeldet hat und ich den neuen Wagen am kommenden Dienstag abholen kann.
„Wird auch Zeit“, ist alles, was Peter dazu sagt.
Von nun an frage ich Peter jeden Abend, bevor ich nach Hause gehe:
„Bist du morgen noch da?“
Und jeden Abend antwortet er:
„Ich bin morgen noch da.“
„Kann ich mich darauf verlassen?“
„Ja, das kannst du.“
Erst dann verlasse ich ihn.
Das Wochenende verläuft ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Aber am Montagabend fällt mir auf, dass mich Peter nicht mehr anschaut. Nach dem Duschen, wenn ich ihn eincreme, haben wir bisher immer noch miteinander geredet. Aber nun blickt er, wenn ich vor ihm stehe oder sitze, direkt an mir vorbei. In die Ferne. Er wirkt völlig konzentriert, worauf, das kann ich nicht erkennen. Und gleichzeitig fällt mir auf, dass er ein Kissen, das seine Tochter ihm geschenkt hat und worauf die Familie auf einem Foto zu sehen ist, immer wieder umdreht. Zunächst denke ich, es ist aus Versehen passiert und drehe das Kissen wieder auf die Seite, auf der das Foto zu sehen ist. Fünf Minuten später jedoch hat er das Kissen wieder umgedreht. Er will nichts mehr sehen. Er ist im Abschied begriffen. Auch als Thomas montags zu Besuch kommt und wir beide miteinander ganz leise reden, liegt Peter mit geschlossenen Augen im Bett, hebt plötzlich die Hand und winkt ab.
Wir sollen still sein. Er fühlt sich gestört.
Kapitel 5
Es ist Dienstag, der 19. Juni, und ich hole das Auto ab. Ein schöner Wagen - keine Frage - aber ich denke, dass ich mit Freuden für den Rest meines Lebens zu Fuß unterwegs sein würde , könnte ich dafür mit Peter zusammen bleiben. Meine größte Sorge ist, dass ich in einen Unfall verwickelt werde, bevor Peter den Wagen gesehen hat.
Aber alles verläuft reibungslos und als ich im Hospiz ankomme, quält sich Peter aus dem Bett, setzt sich in den Rollstuhl und ich schiebe ihn hinaus. Mir fällt sofort auf, dass es ihm sehr schlecht geht, aber ich will es nicht ansprechen, es ist nichts daran zu ändern. Ich öffne die Tür des Autos, aber da sagt er:
„Nein ich steige da nicht mehr ein.“
„Aber anschauen wirst du ihn doch wollen, auch innen?“
„Ja, anschauen schon“, ist seine Antwort.
Wir fahren also um den Wagen herum und ich öffne sämtliche Türen. Er fährt mit dem Rollstuhl ganz nah an das Auto heran und saugt tief den neuen Geruch ein.
„Und darauf hab ich mich nun so gefreut“.
Er dreht sich zu mir um:
„Ein wirklich schönes Auto, da wirst du viel Freude dran haben.“
Dann will er wieder auf sein Zimmer. Ich setze mich zu ihm, da geht die Türe auf und Schwester Melanie betritt den Raum. Sie begrüßt mich, stellt sich an das Fußende des Bettes und fragt Peter, ob er heute schon auf der Toilette gewesen ist. Dies verneint er. Nun wissen wir alle, dass die Gefahr besteht, dass der Tumor den Darm befallen kann und als ich das höre, fange ich einfach an zu weinen. Ich denke immer wieder:
Nein, das nicht jetzt auch noch. Es muss doch mal ein Ende haben. Es reicht doch wirklich.
Schwester Melanie legt mir ihre Hand auf die Schulter und schlägt vor, dass wir beide nach oben auf die Terrasse gehen, um eine Zigarette zu rauchen.
„Es ist I hnen doch recht, Herr Scholze?“, fragt sie ihn.
Peter öffnet die Augen und zeigt durch Kopfnicken sein Einverständnis. Ich gehe also mit Schwester Melanie nach oben. Dort setzen wir uns hin und sie sagt:
„Weinen Sie ruhig, das tut Ihnen sicher gut. Wissen Sie, die letzte Nacht ist sehr schlimm für ihn gewesen. Er hat wahrscheinlich
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