Die Zweitfrau
nicht immer so übertreiben, das merk ich doch jedes Mal“, keucht er unter Lachen.
Es ist noch einmal für wenige Augenblicke wie früher, wenn wir uns gegenseitig „hochgenommen“ haben. Für einen Moment „vergessen“ wir, wie es um uns steht, eigentlich um ihn. Dann schließt er wieder die Augen und sagt noch ganz leise:
„Du bist so eine Liebe“.
Wir warten auf das Abendessen und als es Zeit wird, gehen wir gemeinsam hinüber und er zwingt sich sogar dazu, etwas zu essen. Dann wieder zurück in sein Zimmer, wo er sich hinlegt, um etwas Kraft zu tanken, bevor ich ihn dusche und für die Nacht fertig mache. Als ich fertig bin, stehe ich, bereit zu gehen am Fußende seines Bettes und stelle die alltägliche Frage:
„Bist du morgen noch da?“
„Ja, ich werde morgen noch da sein“.
„Ganz bestimmt?“
„Ja“, antwortet er, „ganz bestimmt.“
Und dieses eine Mal stelle ich nach unserem Frage-und Antwortspiel meine Tasche ab und gehe nochmal zu ihm, nehme ihn in die Arme, drücke ihn an mich und sage ihm:
„Ich liebe dich“.
Er drückt mich ebenfalls an sich, gibt mir einen Kuss und sagt mir, dass er mich auch liebt. Dann erst gehe ich.
Es ist das letzte Mal, dass wir miteinander reden können.
Nachwort
Donnerstag, 21.Juni 2012
Wir alle sind im Hospiz. Es geht nun zu Ende mit Peter. Daran gibt es keinen Zweifel. Und irgendwie sind wir alle froh, denn sehr lange hat er durchgehalten. Sehr, sehr lange. Und seitdem er hier angekommen ist, vor fast vier Wochen, ist es stetig bergab mit ihm gegangen. Immer größer ist sein Wunsch geworden, endlich sterben zu dürfen.
Es ist sehr heiß heute, Sommeranfang eben. Die Terrassentür steht weit offen und Aura, die rotgetigerte Katze des Hospizes ist heute schon zu Gast bei Peter gewesen. Ganz leise auf ihren Samtpfoten, auch wenn er es nicht mehr bemerkt hat. Den ganzen Tag läuft sie vor seinem Zimmer auf und ab. Katzen wissen Bescheid, wenn jemand stirbt. Sie wissen es einfach.
Heute Morgen, um 6.30 Uhr, hat mein Telefon geklingelt. Unsere Miezekatze ist sofort beim ersten Klingeln unter meinem Bett verschwunden und nicht mehr hervorgekommen. Katzen eben. Auch für mich ist sofort klar, was dieser Anruf bedeutet und dennoch, man hofft ja immer. Schwester Melanie meldet sich und teilt mir mit, dass Peter eine sehr schlechte Nacht gehabt hat, es ihm nicht gut geht, er grau im Gesicht ist. Sie rät mir möglichst bald zu kommen. Man denkt ja immer, man ist innerlich vorbereitet, aber man ist es nicht. Ich denke, man ist es nie. Ich habe ihr gesagt dass ich sofort kommen werde. Dann habe ich meine Schwester angerufen, die mir gleich gesagt hat, dass ich in der Verfassung nicht selbst fahren kann und sie mich selbstverständlich fahren wird. Sie kommt gleich. Schnell noch bei den Kindern anrufen und Bescheid geben. Sie sind im Anmarsch. Ich dusche schnell, ziehe mich an, da klingelt es schon und Susanne, meine Schwester, steht da. Wir fahren los. Ich bin irgendwie neben mir. Sage, dass es gut ist und fühle mich innerlich schon wund, möchte weinen, eigentlich schreien vor Schmerz. Ich werde ihn verlieren, auch wenn ich ihn so, wie er jetzt ist, nicht halten möchte. Ich weiß, er möchte sterben. Schon jetzt bin ich unsagbar traurig. Als wir ankommen, kommt uns Schwester Melanie entgegen. Susanne sagt:
„Ich muss jetzt nochmal nach Hause fahren, etwas einkaufen und für Frederik einen Zettel hinlegen, damit er weiß, wo ich bin. Aber dann komme ich sofort wieder her.“
Ich danke ihr für das Herfahren.
„Da nicht für“, antwortet sie mir und ich muss doch ein wenig lächeln.
Aber dann kommen gleich wieder die Tränen. Schwester Melanie und ich gehen in Peters Zimmer. Er liegt auf der Seite, atmet schwer. Schwester Melanie spricht ihn an:
„Herr Scholze, schauen Sie, wen ich Ihnen mitgebracht habe. Sie haben Besuch.“
Peter öffnet tatsächlich seine Augen, blickt mich an und versucht aufzustehen, was er nicht mehr schafft. Aber er sitzt am Bettrand, schaut mich mit strahlenden Augen an und versucht mir etwas zu sagen, was ihm nicht mehr möglich ist. Und so kommt nur „Wawawawawa“, wobei er mit dem Kopf nickt und meine Zustimmung will. Ich verstehe gut, was er mir sagen will. Ganz am Anfang, als wir wussten, diesen Kampf kann er nicht gewinnen, hab ich ihm gesagt, er soll nicht gehen wenn ich nicht da bin. Und er hat mir versprochen, sein Bestes zu geben, wenn er auch nicht versprechen kann, dass es klappt. Er wird es auf jeden
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