Die Zweitfrau
scheint ihn nun anzustrengen und so warte ich, bis er sich so „stark“ fühlt, dass wir mit dem Duschen beginnen können. Unter der Dusche keucht er, hält sich krampfhaft an den dafür vorgesehenen Griffen fest. Ich wasche ihn, trockne ihn dann vorsichtig ab, creme ihn ein und ziehe ihm zuletzt den Schlafanzug an. Er dämmert sofort ein, während ich noch damit beschäftigt bin, wieder alles aufzuräumen. Als ich fertig bin, beuge ich mich zu ihm hinunter und frage, ob es okay ist, wenn ich jetzt gehe. Er öffnet die Augen, sieht mich an und meint, dass ich in aller Ruhe gehen kann.
„Bist du morgen noch da?“ ist meine tägliche Frage und er gibt mir zu verstehen, dass er morgen noch da sein wird. Dann gehe ich.
Kapitel 6
Am Mittwochmorgen nehme ich den Anzug aus seinem Schrank, das einzige Stück, was dort noch hängt. Ich habe mittlerweile, weisungsgemäß, bereits alle seine Kleider entsorgt. Ich nehme das Hemd, die Unterwäsche, die Socken und packe alles ein. Als ich im Hospiz ankomme, gehe ich in sein Zimmer. Nun will ich ihm nicht unbedingt zeigen, was ich da mitgebracht habe. Ich habe das Gefühl, das ist herzlos. Also hänge ich alles still und heimlich in den Schrank, was nicht schwer ist. Peter liegt mit geschlossenen Augen im Bett. Als ich zu ihm trete, um ihn zu begrüßen, öffnet er die Augen, verzieht das Gesicht und sagt mit weinerlicher Stimme:
„Ooooh, immer noch.“
Ich streiche ihm vorsichtig über den Kopf und sage, dass es jetzt nicht mehr lange dauern wird.
„Das sagst du jeden Tag“, antwortet er mir.
Ja, er hat Recht, ich sage das jeden Tag. Was soll ich auch sagen? Ich schaue ihn an und fasse spontan einen Entschluss:
„Hör mal, du kannst ganz sicher sein, dass es jetzt nicht mehr lange dauert. Gestern hat mir Schwester Melanie gesagt, dass ich deinen Anzug mitbringen soll, weil sie sicher ist, dass es nicht mehr lange dauert. Und du weißt ja, auf Schwester Melanie ist Verlass.“
Er setzt sich im Bett auf. Die dünnen Beinchen hängen über die Bettkante, er strahlt mich an und fragt ganz aufgeregt:
„Wirklich? Ist das wirklich wahr?“
„Ja“, nicke ich, stehe auf, gehe zum Schrank und zeige ihm den Anzug.
Ein Leuchten geht über sein Gesicht. Er freut sich, ist sich sicher, dass es nun tatsächlich nicht mehr lange dauern kann. Wenn Schwester Melanie das sagt, dann muss das auch wahr sein. Ihr vertraut er. Als ich wieder an sein Bett trete, nimmt er meine Hand und drückt sie fest. Er scheint außer sich zu sein vor Freude, während es mir das Herz abdrückt. Dann legt er sich wieder hin, hält jedoch meine Hand weiter fest in seiner. So schlummert er ein wenig. Plötzlich öffnet er die Augen und fragt nach den Reifen. Ich erschrecke. Ich habe es wieder nicht erledigt, die Rechnung ist immer noch offen.
„Mach das jetzt endlich, hörst du“, gibt er mir erneut die Anweisung.
Ich verspreche es abermals. Dann sitze ich still bei ihm, bis es Zeit wird für das Mittagessen. Diesmal will er in den Speisesaal laufen und so hake ich ihn unter und er hält sich am Handlauf an der Wand fest, als wir das Zimmer verlassen. So gehen wir ganz langsam zum Essen. Ich verspreche, jetzt gleich die Rechnung zu zahlen und am Nachmittag wieder zu kommen.
Und diesmal vergesse ich es nicht, sondern erledige die Angelegenheit sofort nachdem ich daheim angekommen bin.
Am Nachmittag kommt wieder Thomas zu Besuch und so gehe ich ein wenig später als gewöhnlich. Nachdem ich Thomas zur S-Bahn gefahren habe, fahre ich erneut ins Hospiz und gehe in Peters Zimmer. Dort setze ich mich zu ihm und sage ihm, dass ich gleich, als ich daheim angekommen bin, die Reifen bezahlt habe.
„Dann ist der Spuk jetzt vorbei“, antwortet er mir.
Ich streichele seine Hand, rede mit ihm, sage ihm lauter kleine Unsinnigkeiten, die man dem Menschen sagen kann, den man liebt. Dass ich ihn liebe, ihm dankbar bin, er ein so herzensguter Mensch ist. Kurz, ich spare nicht mit Superlativen. Er hört sich alles ruhig an. Dann hebt er den Kopf und fragt mit verschmitztem Gesicht:
„Was ist denn? Bin ich etwa nicht mehr schön, attraktiv und stark?“
Mir verschlägt es die Sprache und ich fange an zu lachen.
„Natürlich bist du schön. Du bist der schönste Mann auf der ganzen Welt. Keine Frage. Und selbstverständlich bist du auch der Stärkste. Du bist bärenstark, das weißt du doch selbst.“
Wir kichern beide hemmungslos.
„Na ja, bärenstark ist vielleicht ein wenig übertrieben. Du sollst
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