Die Zweitfrau
Angst bekommen, ist aufgestanden, hat sich die Nadel der Morphiumpumpe herausgerissen und hat versucht, das Zimmer zu verlassen. Er hat einfach nur weggehen wollen. Als die Nachtschwester gekommen ist und ihm die Nadel wieder setzen wollte, hat er ihr gesagt, er braucht das jetzt nicht mehr!“
Wir rauchen eine Weile schweigend und dann fragt sie mich plötzlich: „Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, was er im Sarg tragen soll?“
„Nein, das brauche ich nicht, dass hat er alles schon geklärt. Er will seinen Anzug tragen.“
„Schuhe auch?“, fragt sie nach und ich stutze.
„Darüber hat er nicht gesprochen, muss ich ihn fragen.“
„Ja, tun Sie das und bringen Sie den Anzug mit, es wird nicht mehr lange dauern.“
„Sind Sie sicher?“
„Ganz sicher, die Tür ist schon offen, Ende der Woche wird er nicht mehr hier sein.“
Ich weiß nicht was ich fühlen soll. Es tut weh, aber ich bin auch erleichtert, denn Peter hat die letzten beiden Tage immer wieder gefragt, wie lange es denn noch dauern wird. Und ich habe ihm gesagt, dass es nicht mehr lange dauern kann. Als ich wieder Peters Zimmer betrete, liegt er immer noch mit geschlossenen Augen im Bett. Ich setze mich zu ihm und warte, bis er aufwacht, damit ich ihn zum Mittagessen bringen kann.
Seine Tochter kommt mit Familie zu Besuch. Peter lebt geradezu auf, verlässt sein Bett und lässt sich von Theo im Rollstuhl zum Auto fahren, um ihm alles zu zeigen. Er nötigt ihn einzusteigen. Ist voller Stolz, als Theo ehrfürchtig seine Bewunderung für den Wagen ausdrückt. Ich beschäftige mich eine Weile mit den beiden Kleinen, spiele mit ihnen und warte, bis Tochter und Schwiegersohn aufbrechen. Dann setze ich mich wieder zu Peter ans Bett.
„Hast du die Winterreifen bezahlt, die ich bestellt habe?“ fragt er mich.
„Das habe ich nicht getan, denn die Reifen sind noch gar nicht da.“
„Egal, bitte zahle sie, da gibt es sicher eine Lösung. Ich möchte, dass sie bezahlt sind.“
Also verspreche ich ihm das. Zum Essen muss ich ihn mit dem Rollstuhl bringen, er ist zu schwach um zu laufen.
Am Nachmittag bin ich wieder zur gewohnten Zeit da. Es scheint ihm ein wenig besser zu gehen, obwohl er nicht mehr redet. Meist liegt er mit geschlossenen Augen da. Ich halte seine Hand. Als er die Augen öffnet fragt er, ob ich die Reifen bezahlt habe. Dies muss ich verneinen, ich habe es einfach vergessen - es ist mir auch nicht so furchtbar wichtig. Nochmals befiehlt er mir eindringlich, dies auf jeden Fall heute noch zu tun. Ich nehme mir vor, die Sache auf jeden Fall zu erledigen, vergesse es jedoch sofort wieder. Es wird nichts mehr geredet. Es reicht ihm nun zu wissen, dass ich da bin und so bleibe ich einfach sitzen, betrachte ihn und warte. Kurz vor dem Abendessen kommt eine der Schwestern ins Zimmer.
Sofort wird Peter wach, dreht sich um, sieht die Schwester an und fragt:
„Wie lange noch?“
Sie atmet tief ein, nimmt sich einen Stuhl, setzt sich und sagt:
„ Oh, Herr Scholze, das kann ich Ihnen nicht sagen. Das weiß ich einfach nicht. Wir müssen abwarten, aber so wie es aussieht, kann es nicht mehr lange dauern. Sie haben es sicher bald geschafft.“
Peter gibt sich mit der Antwort zufrieden. Sie fragt noch nach, wie es mit den Schmerzen ist, denn noch immer lehnt er es ab, erneut mit Morphium versorgt zu werden. Dann geht sie. Als es Zeit wird für das Abendessen, fahre ich ihn hinüber in den Speisesaal. Er atmet schwer, konzentriert sich auf seinen Atem. Am Tisch kann er nicht essen, sondern sinkt immer wieder in sich zusammen. Mir fällt auf, dass die anwesenden Schwestern ihn beobachten. Schließlich steht eine Schwester auf, geht zu ihm, beugt sich zu ihm hinunter und flüstert leise in sein Ohr:
„Denken Sie nicht, wir sollen doch wieder ein bisschen Morphium geben?“
Die Schmerzen müssen wirklich schlimm sein, denn Peter nickt sofort mit dem Kopf. Mit einem raschen Griff schaltet die Schwester das Morphium wieder frei. Die Nadel ist schon gelegt, die Pumpe ist nicht abgenommen worden, aber nachdem Peter gesagt hat, er will keine Schmerzmittel mehr, haben die Schwestern seinen Wunsch respektiert. Schon nach wenigen Augenblicken setzt die Wirkung ein und er kann wieder freier atmen, richtet sich im Stuhl auf. Essen will er allerdings nichts, er hat keinen Hunger. So trinkt er lediglich ein wenig Apfelsaftschorle und dann gehen wir wieder in sein Zimmer. Wir warten ein wenig, denn Peter muss zunächst erst ausruhen, alles
Weitere Kostenlose Bücher