Die Zweitfrau
Fall versuchen. Nun „freut“ er sich, dass ich da bin, denn er hat sein Versprechen gehalten und nun „darf“ er sterben. Bevor ich bei ihm bin, legt er sich wieder hin, schließt die Augen. Nein, er ist noch nicht tot, er wartet. Wartet auf seine Kinder, denn er ist sich sicher, dass ich sie natürlich informiert habe. Ich nehme einen Stuhl und setze mich zu ihm. Halte seine Hand, lausche auf seinen Atem, wünsche mir, er möchte die Augen noch einmal aufmachen. Aber das tut er nicht mehr, den ganzen langen Tag nicht. Selbst als seine Kinder kurz nach 8.00 Uhr eintreffen - sie haben einen wesentlich längeren Weg als ich - rührt er sich nicht. Kein Anzeichen, dass er überhaupt merkt, dass wir da sind. Wir umarmen uns, versichern uns gegenseitig, dass wir für ihn froh sind, dass es zu Ende geht und dann teilen wir uns die Bettwache. Es ist ganz klar für uns, dass Peter nicht alleine sein wird, wenn es soweit ist, dass er uns endgültig verlässt. Es wird ein langer, anstrengender Tag für uns alle. Irgendwann sagt mir jemand, dass Susanne wieder da ist und draußen sitzt. Ich gehe nach draußen und frage sie, ob sie nicht mit reinkommen will.
„Nein, da hab ich nichts zu such en, das ist jetzt ganz alleine eure Sache. Ich behalte ihn auch so in Erinnerung“, antwortet Sie mir. „Aber ich setze mich raus auf die Terrasse und warte mit euch“.
Ich gehe wieder in das Zimmer. Mittlerweile haben wir zwei Stühle ans Bett gestellt. Einen neben der Mitte des Bettes und einen mehr am Kopfende. So können immer zwei bei Peter sein und zwei können mal raus. Es ist nicht leicht so zu warten, dass es zu Ende geht. Wir wechseln uns ab, reden mit ihm. Sagen ihm, dass wir alle da sind, dass er sich keine Sorgen machen soll um uns. Wir werden alles so machen, wie er es will. Keine Reaktion von ihm. Er scheint schon sehr weit weg zu sein.
Zwischen durch kommt immer mal wieder eine Schwester ins Zimmer, schaut kurz nach dem Rechten, bietet Kaffee und Wasser an. Tritt ans Bett und prüft, ob die Morphium-Pumpe noch ihren Dienst tut und geht dann wieder. Es ist still im Zimmer, bis auf Peters Atem, der laut ist. Fast unheimlich. Irgendwann kommt der Arzt, der hier immer Dienst hat. Er untersucht ihn, prüft den Puls und wendet sich dann an uns:
„Wir wissen nichts über den zeitlichen Ablauf, natürlich nic ht, aber mit Bestimmtheit wird Ihr Vater und Lebensgefährte uns heute verlassen. Reden Sie mit ihm, aber vermeiden Sie, ihn zu überfordern. Keine Frage stellen, einfach da sein, mehr ist nicht nötig. Wir haben oft die Erfahrung gemacht, dass die Sterbenden unruhig werden, als würden sie sich gestört fühlen, wenn Fragen gestellt werden.“
Dann geht er wieder.
Es wird immer heißer und ich denke daran, dass Peter mir vor Wochen gesagt hat, dass er den Sommer noch erleben will. Nun, den Sommer wird er nicht mehr erleben, aber doch den Sommeranfang und der gibt nun wirklich sein Bestes. Der Himmel ist strahlend blau, die Sonne brennt geradezu herab. Leider hat er nichts mehr davon.
Zwischen durch holen die Jungs etwas zu essen aus der naheliegenden Metzgerei und wir essen, eigentlich mehr, damit wir etwas im Magen haben, als aus Hunger. Ich gehe immer mal wieder zu meiner Schwester, die ausdauernd auf der Terrasse sitzt, rauche eine Zigarette, rede ein wenig mit ihr. Gehe dann wieder hinein.
Es ist mittlerweile Nachmittag geworden. Irgendwann haben die Schwestern Peter umgebettet, denn bisher ist er immer auf der rechten Seite gelegen, die seine Lieblingsseite ist. Aber man muss nun aufpassen, dass er sich nicht doch noch wundliegt. Das muss nicht sein.
Um 15.00 Uhr gehe ich nach draußen. Ich trinke einen Kaffee, rauche und Schwester Melanie, deren Dienst zu Ende ist, sitzt auch da. Wir reden miteinander und sie sagt, dass wir sicher sein können, dass es nicht mehr lange dauern wird. Für sie ist es schade, denn jetzt beginnt ihre dreitägige Freizeit und sie weiß, wenn sie wieder kommt, wird Peter nicht mehr da sein. Das ist für sie irgendwie kein „richtiger“ Abschluss. Als sie geht, umarmt sie mich, wir weinen zusammen ein wenig und dann ist sie weg. Ich verstehe Peter, dass er die Schwester so mag. Sie ist so schön „normal“, wie er immer sagt. Kein süßliches Rumgemache, kein verstecktes Mitleid, sondern sie spricht ganz normal mit ihm, macht auch mal einen Scherz.
Diesmal bleibe ich lange draußen, zünde immer wieder eine neue Zigarette an, rede mit meiner Schwester. Will irgendwie nicht
Weitere Kostenlose Bücher