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Die Schlucht

Titel: Die Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Forbes
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Prolog
    Alles begann mit dem angsterfüllten Schrei einer jungen Frau.
    Als Tweed ihn hörte, saß er gerade in seinem geräumigen Büro im ersten Stock und beantwortete die Anfragen seiner Agenten auf dem europäischen Festland. Tweed, früher einmal einer der besten Ermittler bei Scotland Yard, war nun schon seit vielen Jahren stellvertretender Direktor des Geheimdienstes SIS.
    »Die Gewalt in London wird auch täglich mehr«, grummelte er stirnrunzelnd vor sich hin.
    Paula Grey, Tweeds rechte Hand, stand von ihrem Schreibtisch auf und schaute durch ein offenes Fenster hinunter auf die Park Crescent. Es war ein herrlicher Tag im Mai, und die warme Frühlingssonne schien aus einem wolkenlos blauen Himmel.
    Paula war Mitte dreißig, und ihr schwarzes, schulterlanges Haar umrahmte ein ebenmäßig geschnittenes Gesicht mit hoher Stirn, blauen Augen, gerader Nase und einem Kinn, das Entschlossenheit verriet.
    Unten auf der Straße rannte die Frau, die gerade geschrien hatte, auf den Eingang des SIS zu, wobei sie sich mit panischem Blick immer wieder umdrehte. Soweit Paula sehen konnte, war die Straße sonst leer.
    »Ich glaube, sie will zu uns«, berichtete sie.
    »Wer will zu uns?«, knurrte Tweed.
    »Die junge Frau, die gerade geschrien hat.«
    Das Telefon klingelte. Tweeds Sekretärin Monica, eine Frau Mitte fünfzig, die ihre Haare zu einem strengen Knoten hochgesteckt hatte, hob den Hörer ab. Nachdem sie kurz zugehört hatte, wandte sie sich an Tweed.
    »Das ist George«, sagte sie und meinte damit den Wachmann unten im Erdgeschoss. »Eine Miss Lisa Clancy möchte dringend mit Ihnen sprechen …«
    »Aber ich nicht mit ihr«, erwiderte Tweed kurz angebunden. »Sagen Sie George, er soll sie wieder wegschicken.«
    Monica runzelte verwundert die Stirn und wandte sich wieder dem Telefonat zu, das sich in die Länge zog. Offenbar hatte George Schwierigkeiten. Paula ging hinüber zu Monica und ließ sich von ihr den Hörer geben. Nachdem sie kurz mit George gesprochen hatte, sagte sie, dass er dranbleiben solle, und wandte sich an Tweed, wobei sie die Sprechmuschel mit der Hand bedeckte.
    »Sie ist eine Freundin von Crystal Maine«, sagte sie. »Also werden Sie mit ihr reden.«
    Crystal Maine war die Chefbuchhalterin einer Privatbank. Ihre Großmutter, die Bankchefin, war vor einem Jahr bestialisch ermordet worden. Tweed und sein Team hatten den verzwickten Fall aufgeklärt.
    »Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, oder? Lassen Sie sie heraufkommen.«
    Rasch legte er die zehn Aktenmappen mit den beantworteten Agentenanfragen in eine Metallkassette, die er mit einem Schlüssel aus seiner Schreibtischschublade verschloss. »Die Leute von der Kommunikationsabteilung sollen sie sofort abholen«, sagte er zu Monica. »Ich will, dass meine Antworten nach dem Verschlüsseln unverzüglich gesendet werden.« Die Kommunikationsabteilung war in einem anderen, ebenfalls in der Park Crescent gelegenen Gebäude untergebracht und verfügte über hochmoderne Richtfunkeinrichtungen, die als Fernsehantennen getarnt waren.
    Paula ging wieder zurück an ihren Schreibtisch und betrachtete Tweed nachdenklich. Er war ein Mann mittleren Alters, der jünger wirkte, als er war. In seinem dunklen Haar war nicht eine einzige graue Strähne zu sehen, und unter seiner noch so gut wie faltenlosen Stirn blitzte ein Paar lebhafter blauer Augen, denen so leicht nichts entging. Sein Gesichtsausdruck konnte sich von einem Augenblick auf den anderen vollkommen verändern: war er soeben noch kalt und abweisend gewesen, so strahlte er jetzt entspannte Freundlichkeit aus.
    Es klopfte an der Tür, und kurz darauf führte George eine hübsche blonde Frau Ende dreißig herein. Sie war teuer gekleidet mit einem kurzen weißen Fal ten rock, einer modischen Lederjacke und einem geschmackvollen Halstuch aus blauer Seide.
    Nachdem die junge Frau ins Zimmer getreten war, zog George sich wieder zurück.
    »Willkommen«, sagte Tweed und stand auf. Die Besucherin streifte sich den rechten Seidenhandschuh ab und gab Tweed die Hand. »Setzen Sie sich doch bitte«, sagte Tweed und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Mit wem habe ich die Ehre?«, fragte er, nachdem auch er sich wieder gesetzt hatte.
    »Ich heiße … Lisa … Clancy«, sagte sie und musste schlucken. »Miss Lisa Clancy.«
    Obwohl sie eine angenehme, weiche Stimme hatte, schienen ihr die Worte nur schwer über die Lippen zu kommen. Nervös schlug sie erst das linke Bein über das rechte und

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