Die Zwerge
Züge seines Freundes und Herrschers. Lebewohl, Gundrabur. Er wurde selbst zu Stein, spürte die Zeit nicht mehr. Seine Gedanken verloren sich beim Anblick des Sarkophages im Nichts, sein Verstand leerte sich völlig und trieb auf den Wogen des Kummers dahin.
Gelegentlich bildete er sich ein, dass Stimmen zu ihm wisperten, die Geister der anderen, aber er verstand sie nicht.
Die Legenden der Zweiten wussten zu berichten, dass die Seelen der verstorbenen Könige aus der Schmiede von Vraccas kamen und ihre Nachfolger genau prüften, weil sie sich vorbehielten, künftige Könige auf ihre Art abzulehnen. Es hatte Thronanwärter gegeben, die hinter den Toren der Halle geblieben waren und nie mehr gesehen wurden.
Ihm blieb dieses Schicksal erspart.
Als er am nächsten Morgen wie gerädert, müde und erschöpft durch das Tor trat, wurde er von der gleichen Menge Zwerge mit einer Verbeugung und dem Trommeln der Axtstiele empfangen. Sie begrüßten ihren neuen König, man reichte ihm malziges Bier, Brot und Schinken zur raschen Stärkung.
Balendilín nahm kleine Bissen, spülte sie mit Bier hinunter und erklomm das Podest, auf dem zuvor der Sarg Gundraburs gestanden hatte.
»Ich wollte dieses Amt nicht«, sagte er laut und deutlich. »Gern hätte ich Gundrabur nochmals einhundert Zyklen oder mehr auf dem Thron gesehen und ihm treu gedient, aber es ist anders gekommen. Der Hammer Vraccas’ traf unseren König, nachdem er vierzehn Orks abschlachtete und von vier Pfeilen getroffen wurde.« Er schaute über die Menge. »Doch er hat mich als seinen Nachfolger ernannt, und so frage ich euch: Möchtet ihr mich als neuen König?«
Ein lautes »Ja« schallte ihm von allen Seiten entgegen, wieder pochte Holz auf Stein, dann riefen sie seinen Namen, und ihm lief vor Ergriffenheit ein Schauder über den Rücken.
»Ihr habt gewählt. Lasst uns Gundrabur niemals vergessen und seinen Traum in die Tat umsetzen«, rief er ihnen zu. »Der Schutz des Geborgenen Landes ist unsere gemeinsame Aufgabe, gleich welcher Stamm und Clan.« Er suchte Bislipur in der Menge und fand ihn dort, wo er gestern schon gestanden hatte. »Komm zu mir!«, bat er und streckte die Hand einladend aus.
Verdutzt machte der Zwerg sich auf, erklomm hinkend das Podest und grüßte den neuen König mit einem Kopfnicken. Die kalten braunen Augen schauten verunsichert.
»Unsere Stämme haben keinen Großkönig mehr, und die beiden Zwerge, von denen einer das Amt bekleiden wird, befinden sich auf ihrer letzten Prüfung. Es ist kein Geheimnis, dass Bislipur und ich Gegner in unseren Anliegen sind. Bis einer der beiden Anwärter zurückkehrt, gelobe ich, unseren Streit zu beenden, damit das Verhältnis zwischen unseren Stämmen nicht vergiftet wird und es vielleicht sogar zu einer Feindschaft kommen kann.« Er reckte sich. »Bedenkt: Jeder Zwist zwischen uns Zwergen stärkt das Böse. Was immer auch der nächste Großkönig befehlen wird, wir werden ihm gehorchen und ihm folgen.« Balendilín hielt seinem Gegenüber die offene Hand hin. »Teilst du meine Ansicht?«
Bislipur konnte nicht anders, er musste einschlagen, aber wirkte dabei keinesfalls gedemütigt oder wütend, und das wiederum machte den König stutzig.
»Ich schwöre, dass ich wie du meine Überzeugungsreden im Rat der Stämme einstelle, bis einer von den beiden Anwärtern zurückkehrt«, wiederholte er die Worte deutlich. »Wir wollen Verschiedenes, aber wir haben denselben Feind: das Böse. Es zu vernichten, gleich in welcher Gestalt es daherkommt, war und wird die Aufgabe unseres Volkes sein.«
Die Zwerge jubelten den beiden zu, die sich die Hände schüttelten und fest in die Augen schauten. Keiner sah, dass sich ihre Blicke einen ewig währenden Eid der Feindschaft leisteten.
»Damit ihr seht, wie ernst es mit meinem Eid ist, schlage ich vor, dass wir den Kampf gegen das Böse gleich beginnen«, sprach Bislipur. »Können wir zulassen, dass die Orks vor den Toren von Ogertod morden und brandschatzen?« Er wandte sich den Zwergen zu. »Ich sage nein!«
Die lauten Rufe gaben ihm Recht und die Gewissheit, dass sie genauso empfanden wie er.
»Ich habe eine Gesandtschaft durch die Tunnel zu den Clans der Vierten in den Norden geschickt, damit sie mit fünftausend unserer besten Krieger zurückkehren«, eröffnete er dem überrumpelten Balendilín und der Versammlung. »Die Clans der Vierten und der Zweiten werden die Gegend von Orks befreien. Gemeinsam!« Er hob die Arme und riss seine Doppelkopfaxt
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