Die Zwerge
…«, erwiderte Tungdil höflich. Sie nannten ihre Namen: Friedegard, Magusschüler des ersten Grades von der Schule Turgurs des Schönen, und Vrabor, ein Söldner in den Diensten des Rates. »Lot-Ionan geht es gut«, beantwortete er ihre Frage. »Ihr werdet es selbst sehen.« Doch seine Neugier ließ sich nicht zügeln. »Welchen Grund hat es …« Er stockte und verfiel in eine einfachere Sprache. »Was wollt Ihr von ihm?«
»Ich denke nicht, dass ich dergleichen mit dem Handlanger des Magus bereden sollte«, sagte Vrabor abweisend und griff nach den Schnallen seiner Rüstung, um sie zu öffnen. »Ansonsten trüge ich wohl den Titel Ausrufer.«
Das Wüten des Sturmes klang plötzlich doppelt bedrohlich; eine Böe pfiff durch die Ritzen, ein merkwürdiger Laut entstand. Es war ein grelles, unmenschliches Stöhnen, gefolgt von einem schrillen, mehrstimmigen Pfeifen.
Die Boten zuckten zusammen, und ihre Hände fuhren an die Griffe der Schwerter.
Keine gute Nacht, dachte Tungdil und blickte nach draußen, wo mondbeschienene Wolkenfetzen über den nächtlichen Himmel jagten.
Unvermittelt tauchte ein schmales, anmutiges Gesicht vor dem Fenster auf; graugrüne Augen blickten Tungdil an und fesselten seinen Verstand. Die Faszination war größer als der Schrecken, den das unverhoffte Bild mit sich brachte. Lange schwarze Haare peitschten über das Antlitz; einige Strähnen klebten auf der nassen, fast weißen Haut fest und wirkten wie Risse auf den Zügen eines kunstvoll gearbeiteten Elbenabbildes aus edelstem Marmor.
Der Zwerg konnte sich nicht abwenden, die Augen bannten ihn; doch so hübsch das Gesicht auch anzuschauen war, erwuchs eine immense körperliche Abneigung in ihm. Es war zu hübsch, und eine unbestimmbare Grausamkeit ging von ihm aus.
»Da …«, drang es aus seiner Kehle. Es reichte aus, um die Männer aufmerksam werden zu lassen. Sie blickten auf und gingen auf der Stelle in Deckung.
Das dicke Glas barst. Ein langer, schwarz gefiederter Pfeil schwirrte hindurch und bohrte sich in die Wand.
»Verjage sie!«, rief Vrabor seinem Begleiter zu, griff sich den massiven Tisch, hob ihn hoch und verkeilte ihn vor der Fensteröffnung. Schnell befestigte er die behelfsmäßige Abdeckung und arretierte sie mit einem Balken. Für einen Pfeil gab es nun kein Durchkommen mehr.
Friedegard hatte die Augen geschlossen und den Kopf leicht gesenkt; seine Lippen bewegten sich lautlos, während seine Finger einen münzgroßen, mit Gold eingefassten Kristall in seltsamen Bahnen durch die Luft führten.
»Was ist los?« Tungdil sprang aus dem Bett und packte seine Axt; sie gab ihm ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Die Männer antworteten nicht, sondern lauschten. Die Böen flauten ab, das Rauschen des Regens verstärkte sich. Vom Angreifer hörten sie nichts mehr, auch wenn sie ihre Ohren noch so sehr anstrengten; er schien mit dem Sturm gegangen zu sein.
»Ist der Elb weg?«, fragte der Zwerg.
»Ich weiß es nicht«, gestand der Söldner. »Vielleicht.« Er verstaute sein Schwert und setzte sich auf sein Bett; die Hände stützte er auf die Parierstange. »Oder sie warten auf eine bessere Gelegenheit.«
»Sie?«
»Die Albae, keine Elben. Es sind zwei, sie folgen uns seit unserer Abreise aus Porista.«
»Albae!« Sie waren die Todfeinde der Elben, grausamer als jedes Scheusal des Geborgenen Landes, und sie hassten ihre Verwandten wegen deren Reinheit, die ihnen verwehrt blieb. Nur aus diesem Grund, so stand es geschrieben, kamen sie über den Steinernen Torweg. »Ist Lot-Ionan in Gefahr?«
»Ihm kann nichts geschehen«, beruhigte ihn Vrabor müde. »Die Albae wissen, dass sie gegen einen Magus nicht bestehen können. Sie wollen nur Friedegard und mich, um herauszufinden, was wir mit uns tragen. Seit wir aus der Hauptstadt Lios Nudins aufgebrochen sind, belauern sie uns, aber erst jetzt, nachdem ihnen das Ziel unserer Reise deutlich wurde, greifen sie an.« Er sah die unausgesprochene Frage in Tungdils Augen. »Nein, Unterirdischer, du magst sein Handlanger sein und hast uns mit deiner Achtsamkeit bewahrt, aber dennoch kann ich dir nicht sagen, was der Rat der Magi von deinem Meister möchte. Frage ihn selbst, wenn du zu ihm zurückkehrst.«
»Ich bin ein Zwerg, kein Unterirdischer.« Er spielte mit dem Gedanken, zusammen mit den beiden Boten am folgenden Morgen zu Lot-Ionan zu gehen, um ihm von den Erlebnissen zu berichten, kam aber zu dem Entschluss, dass dies unsinnig sei. Zuerst musste er seinen Auftrag
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