Die Zwerge
erfüllen. So setzte er sich nieder und legte die Axt quer über die Oberschenkel.
Sie wachten die Nacht über schweigend, ohne dass einer von ihnen eingeschlafen wäre. Die Furcht hielt sie munter, auch wenn die rätselhaften Angreifer nicht mehr auftauchten; Friedegards Schutzzauber hatte sie offenbar vertrieben. Die Anspannung wich mit dem ersten sanften Morgengrauen, danach döste der Zwerg auf seinem Lager ein.
III
Das Geborgene Land, das Zauberreich Ionandar
im Jahr des 6234sten Sonnenzyklus, Frühsommer
L ot-Ionan saß im alten Ohrensessel in der Ecke des Studierzimmers, hatte die Füße hochgelegt und blätterte zufrieden in einer seiner zahlreichen Formelsammlungen. Er trug seine gemütliche beigefarbene Robe und die noch gemütlicheren Pantoffeln; auf dem Beistelltischchen neben ihm lagen eine Pfeife und der Tabak stopfbereit parat. Das Glas mit Kräutertee stand daneben und dampfte. Der Magus genoss die Stille.
»Hörst du das, Nula?!«, fragte er die Schleiereule, die es sich über ihm auf der Kante des Sessels bequem gemacht hatte und scheinbar mitlas. Er senkte das Buch und seufzte wohlig. »Ruhe. Kein Lärm, keine Explosionen. Auch wenn es mir Leid tat, Tungdil auf die Reise zu schicken, war es eine gute Entscheidung.«
Die Eule klapperte zur Bestätigung mit den Augendeckeln und gab ein sanftes »Schuhu« von sich. Nicht, dass Nula ihn verstand, aber er redete trotzdem gern zu ihr. Das half ihm, seine Gedanken zu ordnen.
»Zugegeben, es war ein wenig gemein von mir. Gorén wohnt seit vielen Zyklen nicht mehr im Tafelberg«, erklärte er schuldbewusst. »Mein einstiger Famulus verfiel den geistigen und fleischlichen Reizen einer Elbin und ließ das Schwarzjoch hinter sich.« Die Eule blinzelte. »Woher ich das weiß? Gorén hat mir voller Begeisterung über sein neues Zuhause in Grünhain geschrieben und die unendlichen Vorzüge von Elbinnen ausführlich geschildert.«
Lot-Ionan merkte wiederum, wie alt er war. An sinnlich-fleischliche Genüsse dachte er schon lange nicht mehr, es gab für ihn weit Wichtigeres.
»Ich schätze, dass Tungdil herausfinden wird, wo Gorén abgeblieben ist. Und da ich meinen Gehilfen kenne, weiß ich, dass er nicht eher zurückkommt, bevor er den Sack abgeliefert hat.«
Der Zauberer nippte an seinem Tee. Die Kühle im Stollen konnte er auf diese Weise am besten ertragen, aber er wollte es auch gar nicht wärmer haben. Die frische Temperatur hielt den Verstand klar und unterstützte ihn beim Grübeln.
Nula klapperte mit den Augendeckeln, es wirkte vorwurfsvoll.
»Was willst du? Dass ich Tungdil sehr mag, steht wohl außer Frage«, verteidigte er sich. »Aber ein Desaster wie vor wenigen Umläufen, als er und Jolosin mir meine Formel unwiderruflich verdarben, will ich bei einem zweiten Versuch nicht noch einmal erleben. Daher die lange Wanderschaft.«
Der Vogel blieb unzufrieden.
»Es wird ihm gut tun. Auf diese Weise lernt er das Geborgene Land kennen, anstelle nur in Büchern darüber zu lesen. Tungdil wird bald von seinem Abenteuer zurückkehren und glücklich sein, dass er seine Aufgabe gemeistert hat. Jolosin wird sich in der Küche die Finger wund schälen, Kartoffeln bis an sein Lebensende hassen und keine Gemeinheiten mehr gegen ihn aushecken. So gewinnen alle durch diese Lösung.« Sein Blick fiel auf das Sonnenzyklenkalendarium. »Oh, was sehe ich denn da?! Wir bekommen hohen Besuch, Nula.«
Die Rechenscheiben kündigten ihm für den heutigen Tag Nudin den Wissbegierigen an. Natürlich würde sein Magusbruder nicht persönlich erscheinen. Sie lebten rund fünfhundert Meilen voneinander entfernt, und über diese Strecke kommunizierten die Zauberer mithilfe von Magie und einem aufwändigen Ritual, das nur zu bestimmten Mondphasen möglich war.
Die Entfernung war ihm nur recht, denn Nudin entwickelte sich langsam zu dem unsympathischsten Menschen, den Lot-Ionan kannte. Gleichzeitig reifte er jedoch zu einem begnadeten Magus heran, und seine Fertigkeiten wuchsen im Einklang mit seiner Unausstehlichkeit.
Jeder fand irgendwann seinen eigenen Pfad, die Geheimnisse der Zauberei, der »ars magica«, zu ergründen. Nudin versuchte es offenbar, indem er mürrischer, unfreundlicher, abweisender und fetter wurde.
»Ich sage dir, Nula, der Mann beherrscht Formeln und Beschwörungen, die andere sich nicht einmal getrauen anzusehen.« Er griff unter das Beistelltischchen und fischte nach einem Glas sowie der Karaffe mit klarem Wasser. Kurz polierte er
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