Die Zwerge
gerühmte zwergische Kriegskunst zu demonstrieren. Er hätte es nicht gekonnt.
Lot-Ionan besaß als Magus keinerlei Bezug zu Waffen, Schwertkampf und dem Handwerk eines Kriegers. Folglich hatte Tungdil niemals einen Lehrer gefunden, der ihm gezeigt hätte, wie man die Axt gegen einen Gegner führte. Die Mägde und Knechte brauchten Beile und Äxte zum Holzhacken oder um eine Ratte tot zu schlagen. Damit endeten auch seine Versuche, die Handhabung der berüchtigten Zwergenwaffe zu erlernen, wie es für einen Angehörigen seines Volkes angemessen wäre. Sollte er eines Tages einem Gegner gegenüberstehen, was angesichts der Orks nicht einmal abwegig erschien, würde er drauf losschlagen und hoffen, dass er den Feind verjagte …
»Ich habe schon viel von den Zwergen und ihrer Kampfkraft gehört. Habt ihr es im Blut, oder muss man es euch beibringen?«, fragte der Erzähler ihn prompt. »Einer von euch genügt, um zehn Orks zu töten, sagt man. Stimmt das?«
Tungdil wurde es inmitten der vielen Menschen klarer denn je zuvor: Er war weit davon entfernt, ein echter Zwerg zu sein. Sein Volk würde ihn gewiss auslachen, und plötzlich wünschte er sich nicht mehr, einem von ihnen zu begegnen. Selbst der Gedanke an die Liebe mit einer Zwergin verfehlte seinen Reiz.
»Es stimmt«, antwortete er schwach und hoffte, dass es sich wirklich so verhielt. Dann gähnte er laut und streckte sich. Es wurde Zeit, dass er in ein Bett fiel, die Gedanken und die neugierigen Zuhörer abschüttelte. »Entschuldigt, aber ich möchte mich nun ausruhen.«
Sie entließen ihn ungern aus ihrer Runde, nachdem sie ihre erste Zurückhaltung überwunden hatten. Der Wirt wies ihm ein Lager im zweiten Stock des Fachwerkhauses zu, ein geräumiger Schlafsaal, in dem niemand anderer nächtigte.
Die Waschschüssel nutzte er, um seine heißen Füße zu kühlen, die den Stiefeln seit dem Beginn der Reise nun zum ersten Mal entstiegen. Während er sich noch schnell ein drittes Bier gönnte, schaute er zum Fenster der engen Kammer hinaus und ließ den Blick über die Ziegeldächer Gutenauens schweifen.
Die Siedlung war recht groß und musste annähernd tausend Häuser umfassen. Die Bewohner lebten vermutlich von den Ernten der umliegenden Getreide- und Gemüsefelder sowie den Erträgen der Obstbäume. Dieses bisschen Reichtum wurde nun durch die marodierenden Orks bedroht. Tilogorns angefordertes Heer würde sich beeilen müssen, wenn es etwas retten wollte.
Tungdil trocknete die geschundenen Füße ab, legte seine Kleidung auf den Stuhl und verschwand unter der dicken Federdecke.
Silbriges Licht fiel auf den Sack, den er Gorén bringen sollte, und stellte seine Beherrschung auf eine harte Probe.
Lass ihn zu, sagte er zu sich selbst. Der Inhalt muss dich nicht kümmern.
Kurz vor dem Einschlafen dachte er an den Magus und an seine große Schwester Frala, deren Talisman er am Gürtel trug. Er vermisste ihr Lachen. Morgen früh wollte er den Krüger nach dem Weg zum Schwarzjoch fragen, und er würde sich durch nichts aufhalten lassen.
*
Gedämpfte Geräusche weckten ihn aus seinem Schlummer.
Zwei Männer gaben sich große Mühe, so leise wie möglich im Schlafsaal Quartier zu beziehen. Von draußen gesellte sich das Heulen und Toben eines Sturmes hinzu, der um Gutenauen fegte.
Deutlich meinte der Zwerg, den Namen seines Ziehvaters gehört zu haben. Vorsichtig schaute er nach den Neuankömmlingen. Es handelte sich um einen schmächtigen, gut gekleideten Herrn und einen größeren, breit gebauten Mann, der eine mit Eisenplättchen verstärkte dunkelbraune Lederrüstung trug.
Ein Kaufmann und sein Leibwächter?, überlebte Tungdil. Ihre Sachen waren sicherlich viele Münzen wert. Da erspähte er ein schlichtes und dennoch besonderes Schmuckstück, das am ledernen Aufschlag des Größeren der beiden befestigt war und das Siegel des Rates der Magi trug.
Gesandte! »Ihr wollt zu Lot-Ionan?«, fragte Tungdil laut und gab es auf, den Schläfer zu mimen. Die Neugier hatte über die Vorsicht gesiegt.
Der Größere runzelte die Stirn. »Wie kommst du darauf?«
»Die Spange an Eurem Gewand«, erklärte er den erstaunten Männern. »Ihr seid Boten des Rates der Magi.«
Die beiden wechselten einen raschen Blick. »Wer bist du?«, wollte der Besitzer der Spange wissen. Der Zwerg stellte sich vor. »Nun, dann kannst du uns gewiss sagen, wie es um die Gesundheit deines Herrn bestellt ist. Ist er wohlauf?«
»Sicher. Wenn Ihr Euch vorstellen würdet
Weitere Kostenlose Bücher