Die Zwerge
frei im Raum. Selbst die Splitter, die im Leichnam Mairas der Hüterin steckten, bohrten sich einen Weg durch das verrottende Fleisch und kamen mit einem leisen Schmatzgeräusch aus ihr hervor.
»Sieh nur!« Jolosin drückte ihre Hand. »Gleich haben wir es!«
Der Wissbegierige übernahm weiterhin die Rolle des Hauptsprechers. Die Männer und Frauen wiederholten seine Formeln, bis sie plötzlich unverständlich wurden. Nudin stotterte scheinbar wirres Zeug vor sich hin, und die Silben konnten von seinen Helfern nicht repetiert werden. Das Ritual drohte zu scheitern.
Die Bruchstücke formierten sich zu einer runden Scheibe mit einem Durchmesser von zehn Schritt, dann begann der leuchtende Kreis, um die eigene Achse zu rotieren.
»Soll das so sein?«, fragte Jolosin Rantja. »Ich habe so ein Ritual noch niemals mitgemacht.« Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
Die Drehbewegungen wurden schneller, und je mehr die Malachitsplitter an Geschwindigkeit aufnahmen, um so enger rückten sie aufeinander zu. Sie verdichteten sich, bis sich die Einzelstücke zu einem großen Kristall fügten.
»Der Wissbegierige weiß genau, was er tut«, atmete Rantja auf und verstummte wie auch die übrigen Famuli.
Die Stille hatte etwas Feierliches. Einhundertachtzig Menschen standen um den kraftvoll leuchtenden Edelstein, dem der Wille Nudins eine neue Form gegeben hatte. Einige der Zauberlehrlinge seufzten erleichtert und freuten sich an dem majestätischen Anblick, der sich ihnen bot.
»Wir haben es geschafft«, jauchzte Jolosin und wollte seine Finger von Nudins lösen, um Rantja in die Arme zu schließen, doch der Magus hielt sie eisern fest.
Der Mund des Wissbegierigen öffnete sich, um ein einziges, unbekanntes Wort zu sagen.
Ein Splitter löste sich aus dem Verbund und flog Jolosin unbemerkt von den anderen wie ein Geschoss in die Brust.
»Was …« Der junge Mann ächzte. Er wollte die Hand des Magus abschütteln, um die Stelle zu betasten, an der das Stück Malachit einschlug. Das scharfkantige Teil steckte tief in ihm, er spürte, wie Blut aus der Wunde sickerte und über seinen Bauch lief, aber die kalten, klebrigen Finger gaben ihn nicht frei.
»Ehrenwerter Magus«, stöhnte Jolosin unter Schmerzen. »Ich … bin verletzt. Der Stein hat mich angegriffen.«
Nudin wandte ihm das teigige, aufgeschwemmte Gesicht zu. Das Schwarz der Pupillen hatte die Farbe seiner Augen zu einem schmalen Rand schrumpfen lassen; dann veränderte sich die Schwärze und wurde schlagartig silbrigtrüb. In dem Schleier glitzerte es auf.
»Ich weiß, mein Junge. Es geht nicht anders, ich brauche deine Magie.« Er drückte ihm aufmunternd die Hand. »Du wirst gleich keine Qualen mehr leiden müssen.« Der Wissbegierige schloss die Lider.
Das nächste winzige Malachitstück flog durch den Raum und traf Rantja; immer schneller schossen die Splitter davon, und erst als die Hälfte der Famuli Opfer der Attacken geworden waren, bemerkten die anderen, was geschah. Sie riefen Nudin zu, er solle etwas unternehmen.
»Bleibt, wo ihr seid! Oder wollt ihr alles zunichte machen?« Er stand noch immer mit geschlossenen Augen da.
Die Letzten, die noch nicht beschossen worden waren, gaben nichts auf die Worte des Magus. Sie wollten den Kreis verlassen und hinter Deckungen flüchten, ehe sie Tod bringende Verletzungen davontrugen. Aber es gelang nicht. Voller Entsetzen stellten sie fest, dass ihre Hände untrennbar an denen ihrer Nachbarn hafteten, und kurz darauf traf auch sie ein Splitter.
Aus dem Malachit zuckten dunkelgrüne Strahlen hervor, leckten voller Vorfreude über die Körper der Zauberlehrlinge und glitten durch die Wunden, welche die Splitter ihnen geschlagen hatten, in sie hinein.
Nudin öffnete die Lider, die Augen glänzten wahnsinnig. Er öffnete sein Gewand auf Brusthöhe und rief ein zweites Wort.
Ein fingerlanger Kristallsplitter ritt auf einem gleißenden Blitz herbei, um sich in seinen Leib zu bohren. Der Strahl schwoll an, gewann an Umfang, pulsierte und zuckte, während die grünen Energiebänder, mit denen die Famuli an dem Malachit hingen, schwächer wurden. Unvermittelt erloschen sie.
»Vollendet!« Aus dem Mund Nudins drang ein unmenschlicher, kraftvoller Freudenschrei, dann lachte er vor Zufriedenheit. »Es ist vollendet! Nun kann ich die Maskerade fallen lassen und wieder Nôd’onn der Zweifache sein.«
Die Zauberlehrlinge stürzten zu Boden. Jolosin und Rantja waren wie alle anderen nicht fähig zu sprechen, der Stein
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