Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
sich, und sie wandte sich noch einmal um.
» Ich höre, Sie sind jetzt ein Mann des Gebets.«
Lucius nickte.
» Dann sollten Sie vielleicht darum beten, dass ich mich irre.«
27
Peter war zehn Tage im Lazarett. Drei gebrochene Rippen, eine ausgerenkte Schulter, Brandverletzungen an Beinen und Füßen, die Hände wundgescheuert wie rohes Fleisch, Blutergüsse, Platzwunden und Schnitte am ganzen Körper, zu viele, um sie zu zählen. Er hatte den Kopf angeschlagen, aber es war ihm all seinen Bemühungen zum Trotz nicht gelungen, sich den Schädel zu zerschmettern. Alles tat ihm weh, sogar das Atmen.
» Nach dem, was ich höre, haben Sie verdammtes Glück, dass Sie noch leben«, sagte der Arzt, ein Mann von ungefähr sechzig Jahren mit einer Knollennase, die nach Jahren des Alk-Trinkens von feinen Äderchen überzogen war. Die Stimme des Mannes war so rau, dass sie wie zerfetzt klang. Seinen Patienten gegenüber schlug er mehr oder weniger den gleichen Ton an, mit dem man einen ungehorsamen Hund zurechtwies. » Bleiben Sie im Bett, Lieutenant. Und zwar so lange, bis ich etwas anderes sage.«
Henneman hatte die Nachbesprechung mit ihm gemacht, als das Team in die Garnison zurückgekommen war. Peter war bis in die Haarspitzen vollgepumpt mit Schmerzmitteln und noch nicht ganz bei sich gewesen, und so glitten die Fragen des Majors an ihm vorbei mit den zusammenhanglosen Konturen eines Gesprächs, das im Nachbarzimmer und unter Leuten stattfand, die er nur flüchtig kannte. Ein Mann, ein sehr alter Mann mit dem Bild einer Schlange am Hals. Jawohl, bestätigte Peter und nickte dabei schwer auf dem Kissen, das war es, was sie gesehen hatten. Hatte er gesagt, wer er war? Ignacio, antwortete Peter. Er hat uns gesagt, sein Name sei Ignacio. Der Major hatte offensichtlich keine Ahnung, was er mit diesen Antworten anfangen sollte, und Peter wusste es auch nicht. Henneman schien ihm die gleichen Fragen in nur leicht veränderter Form immer und immer wieder zu stellen, und irgendwann döste Peter ein. Als er die Augen öffnete– er sollte bald erfahren, dass ein Tag und eine Nacht vergangen waren–, war er allein.
Außer dem Arzt sah er niemanden bis zum Nachmittag des vierten Tages, als Alicia an seinem Bett erschien. Inzwischen saß Peter aufrecht und mit dem linken Arm in einer Schlinge, die sein Schlüsselbein an Ort und Stelle festhalten sollte. Am Nachmittag war er zum ersten Mal allein zur Latrine gegangen– ein Meilenstein, obwohl er nach den paar schlurfenden Schritten entkräftet gewesen war. Jetzt stand er vor dem Problem, allein zu essen, obwohl seine Hände in fausthandschuhdicken Verbänden steckten.
» Verdammt, du siehst beschissen aus, Lieutenant.«
Das Licht im Zelt war matt genug für sie, um die Brille abzunehmen. An die orangegelbe Farbe ihrer Augen war Peter gewöhnt, aber vor anderen zeigte sie sie nur selten. Sie ließ sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken und deutete auf die Schale Maismehlbrei, den Peter sich ohne großen Erfolg in den Mund zu löffeln versuchte.
» Brauchst du da ein bisschen Hilfe?«
» Das hättest du wohl gern.«
Sie ließ ein Lächeln aufblitzen. » Na, es ist jedenfalls schön zu sehen, dass du deinen Stolz noch hast. Hat Henneman dich gelöchert?«
» Ich kann mich kaum erinnern. Ich glaube jedenfalls nicht, dass ihm meine Antworten besonders gut gefallen haben.« Der Löffel rutschte ihm aus der Hand, und ein Klecks von der klebrigen Paste landete auf seinem Hemd. » Scheiße.«
» Komm, lass mich das machen.«
Jetzt versuchte er, den Löffel zwischen Daumen und Schüsselrand zu klemmen, um ihn so wieder in die Handfläche zu schieben. » Ich sage doch, ich kann das.«
» Hörst du nicht? Lass es einfach.«
Peter ließ den Löffel auf das Tablett fallen. Alicia tauchte ihn in die Schale und zielte dann damit auf seinen Mund. » Ein Löffelchen für Mama.«
» Weißt du, wie der mütterliche Typ bist du mir eigentlich nie vorgekommen.«
» In deinem Fall will ich gern eine Ausnahme machen. Iss einfach.«
Löffel für Löffel leerte sich die Schale. Als sie ihn gefüttert hatte, nahm Alicia einen Lappen und wischte ihm das Kinn ab.
» Das kann ich nun wirklich selbst, weißt du.«
» Nei-hein. Gehört alles zum Service.« Sie hatte sich über ihn gebeugt und wich jetzt wieder zurück. » Da– so gut wie neu.« Sie legte den Lappen zur Seite. » Wir haben heute Morgen die Andacht für Satch gehalten. War nett. Henneman und Apgar haben beide
Weitere Kostenlose Bücher