Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
Vom Netzwerk:
Wache, ich wollte Sie ablösen, und wir beide sind ins Gespräch gekommen. Es war die Nacht, in der ich Sie gefragt habe, was Sie mit den Ampullen vorhätten, die Lacey Ihnen gegeben hatte.«
    Plötzlich war alles wieder da. Die roten Felsen, die tiefe Stille der Landschaft, die entspannte Unterhaltung, als sie beide am Feuer saßen. Es war, als sei die Erinnerung fünf Jahre lang in Peters Kopf herumgeschwommen, ohne je an die Oberfläche zu kommen– bis jetzt. » Ich erinnere mich.«
    Greer nickte. » Dachte ich mir. Und ich will nur sagen: Als Sie anboten, sich das Virus injizieren zu lassen, war das– ganz ehrlich– das Mutigste, was ich je erlebt hatte. Und ich hatte schon ein paar recht mutige Sachen erlebt. Ich selbst hätte das niemals fertiggebracht. Schon vorher hatte ich eine Menge Respekt vor Ihnen, aber danach…« Er schwieg kurz. » In dieser Nacht in Utah habe ich etwas zu Ihnen gesagt. ›Alles, was passiert ist, ist mehr als nur Zufall.‹ Ich habe in dem Augenblick eigentlich eher mit mir selbst gesprochen und versucht, etwas in Worte zu fassen, das ich noch nicht ganz begreifen konnte, aber ich habe viel darüber nachgedacht. Dass Sie Amy gefunden haben, dass ich Sie gefunden habe, Lacey, Babcock, alles, was da auf dem Berg passiert ist. Die Ereignisse können einem beliebig erscheinen, während man sie erlebt, doch wenn man zurückschaut, was sieht man dann? Eine Kette von Zufällen? Schlichtes Glück? Oder mehr als das? Ich sage Ihnen, was ich sehe, Peter: einen klaren Weg. Mehr als das: einen wahren Weg. Wie groß ist die Chance, dass diese Dinge von sich aus passiert sind? Dass jedes Mosaiksteinchen sich genau da an seinen Platz gelegt hat, als wir es brauchten? Hier ist eine Macht am Werk, mein Freund, etwas, das Ihr Verständnis übersteigt. Sie können es nennen, wie Sie wollen. Es braucht keinen Namen, denn es kennt den Ihren, mein Freund. Sie fragen sich, was ich den ganzen Tag hier drin mache, und die Antwort ist sehr einfach: Ich warte ab, was als Nächstes passiert. Und vertraue auf Gottes Plan.«
    Er schenkte Peter ein rätselhaftes Lächeln. Auf seinem Gesicht und seiner nackten, muskulösen Brust lag eine Schweißschicht, deren Geruch scharf in der Luft hing.
    » Hört es sich sonderbar an, wenn ich das sage? Wahrscheinlich denken Sie: Der arme Kerl, so allein in dieser kleinen Schachtel, er muss den Verstand verloren haben. Sie wären nicht der Erste.«
    Peter brauchte einen Moment für seine Antwort. » Ehrlich gesagt, nein. Ich habe nur daran gedacht, wie sehr Sie mich an jemanden erinnern.«
    » An wen?«
    » Sie hieß Auntie.«
    Jetzt erinnerte Greer sich. » Natürlich.« Er nickte gleichmütig. » Die Frau, die wir begraben haben, als wir in die Kolonie zurückgekehrt waren. Sie haben mir nie von ihr erzählt, und ich habe mich gewundert. Aber ich wollte nicht neugierig sein.«
    » Sie hätten ruhig fragen können. Man könnte sagen, wir standen einander nah, obwohl man das bei Auntie nie genau wissen konnte. Ich glaube, die halbe Zeit hielt sie mich für jemand anderen. Und sie redete auch gern von Gott.«
    » Ach ja?« Das schien Greer zu freuen. » Und was hat sie gesagt?«
    Wie seltsam, dachte Peter, nach all den Jahren plötzlich wieder an Auntie zu denken. Wie die Nacht in Utah, von der Greer gesprochen hatte, tauchte jetzt auch die Erinnerung an die alte Frau und an die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, in seinem Kopf auf, als wäre das alles gestern gewesen. Ihre überheizte Küche und der scheußliche Tee, die präzise, ja, ehrfürchtige Anordnung der Dinge in ihrem kleinen Haus, der Möbel, Bücher, Bilder und Erinnerungsstücke. Ihre knotigen alten Füße, die nie in Schuhen steckten, ihr runzliger, zahnloser Mund und das feine Gewirr ihrer weißen Haare, die über ihrem Kopf in der Luft zu schweben schienen, ohne irgendwo mit ihr verbunden zu sein– wie Auntie selbst mit niemandem verbunden war: Sie lebte allein in ihrer Hütte am Rande der Lichtung, scheinbar in einem Reich ganz für sich, in einer Nische voll menschlicher Erinnerungen, außerhalb der Zeit. Jetzt, da Peter darüber nachdachte, war es wahrscheinlich das gewesen, was ihn zu ihr hingezogen hatte. Wenn er mit Auntie zusammen gewesen war, war ihm der tägliche Lebenskampf immer leichter vorgekommen.
    » Gesagt hat sie mehr oder weniger das Gleiche. Es war nicht so leicht, sie zu verstehen.« Eine Erinnerung trieb herauf wie eine Luftblase. » Aber da war etwas. In derselben Nacht, in der

Weitere Kostenlose Bücher