Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
Vom Netzwerk:
dreißig Sekunden lang tat er so, als ob er ihn studierte, bevor er den Blick zu der Gestalt im dunklen Anzug hob, die in der Tür stand und ein Clipboard mit einem dicken Stapel Papier in der Hand hielt.
    » Haben Sie eine Sekunde Zeit?«
    Guilders Stabschef, ein Mann namens Fred Wilkes, kam herein. Wie alle Bewohner von Hilltop hatte er die blutunterlaufenen Augen eines chronischen Marihuana-Rauchers. Zudem hatte er das glänzend geschmeidige Äußere eines Fünfundzwanzigjährigen– weit entfernt von dem drahtigen Siebzigjährigen, den Guilder damals kennengelernt hatte. Wilkes war als Erster an Bord gekommen. Guilder hatte ihn in einem der Wohnheime des Colleges entdeckt, wo er sich in den ersten Tagen nach dem Angriff versteckt hatte. Er hielt den Leichnam seiner verstorbenen Frau in den Armen– umarmte sie regelrecht–, und deren ohnehin schon kräftige Proportionen waren nach drei Tagen gasbildender Verwesung in der Hitze von Iowa nicht kleiner geworden. Wie Wilkes berichtete, war das Paar zu Fuß aus dem Flüchtlingskoordinationscenter geflohen, weil die Busse nicht gekommen waren; schwitzend waren sie ganze drei Meilen weit gekommen, als seine Frau sich an die Brust gegriffen und die Augen himmelwärts verdreht hatte, bevor sie umgefallen und an einem Herzinfarkt verstorben war. Wilkes hatte es nicht übers Herz gebracht, sie einfach so liegen zu lassen. Also hatte er irgendwo eine Schubkarre aufgetrieben und die kolossale Gestalt zum College gekarrt, wo er mit nichts als der Leiche und seinen Erinnerungen an ein gemeinsames Leben Zuflucht gefunden hatte. Trotz des entsetzlichen Gestanks, den Wilkes entweder nicht bemerkte oder nicht so schlimm fand, boten die beiden einen wahrhaft herzzerreißenden Anblick, der Guilder zu Tränen gerührt hätte, wenn er eine bestimmte Sorte Mann gewesen wäre, was er aber nicht mehr war.
    » Hören Sie zu«, hatte Guilder gesagt und sich tröstend vor ihn gekniet, » ich mache Ihnen einen Vorschlag.«
    Und so hatte es begonnen. Genau an dem Tag, ja, exakt zu der Stunde, als er zusah, wie Wilkes angewidert den ersten kleinen Schluck nahm, hatte Guilder die Stimme gehört. Soweit er es feststellen konnte, war der Mann immer noch der Einzige; bei keinem der anderen Stabsmitarbeiter war zu erkennen gewesen, dass Zeros Geist in ihnen lebendig war, und was die Frau anging– wer konnte schon wissen, was in deren Kopf vorging? Sie war lediglich ein Werkzeug für ihn.
    Jetzt, anderthalb Menschenleben später, kam sein großartiger Plan zur Vollendung, und die letzten Reste der Menschheit waren zu seinen Füßen versammelt (die Sache mit Kerrville war genau wie die Sache mit Bello ein kleiner, aber bedeutsamer Störfaktor, eine Erbse unter der Matratze des Plans), und hier stand Wilkes mit seinem allgegenwärtigen Clipboard. Sein Gesicht verriet, dass er keine guten Nachrichten brachte.
    » Ich dachte mir, Sie sollten wissen, dass die Sammlereinheit zurück ist. Das heißt, äh, was davon übrig ist.«
    Nach dieser beunruhigenden Einleitung nahm Wilkes das oberste Blatt von seinem Clipboard, legte es auf Guilders Schreibtisch und wich zurück, als wäre er froh, das Ding los zu sein.
    Guilder überflog es schnell. » Verdammt, Fred, was soll das heißen?«
    » Ich schätze, man könnte sagen, die Sache ist nicht so gelaufen, wie es geplant war.«
    » Niemand? Nicht einer von ihnen? Was stimmt denn da nicht mit diesen Leuten?«
    Wilkes deutete auf das Blatt. » Der Ölnachschub ist zumindest vorübergehend gestört, das ist ein Plus. Es öffnet eine Menge Türen.«
    Aber damit war Guilder nicht mehr zu trösten. Erst Kearney, jetzt das. Es hatte eine Zeit gegeben, als das Einsammeln von Überlebenden ein relativ klar umrissenes Unternehmen war. Die Frau erschien– die Tore öffneten sich, das Rad am Tresor begann sich zu drehen, die Zugbrücke senkte sich herab. Die Frau absolvierte ihre Nummer wie eine Löwenbändigerin im Zirkus, und ehe man sichs versah, polterten die Lastwagen zurück nach Iowa, vollgestopft mit ihrer menschlichen Ladung. Die Höhlen in Kentucky. Diese Insel im Lake Michigan. Die verlassenen Raketensilos in North Dakota. Der Überfall in Kalifornien in jüngerer Zeit war eine regelrechte Goldmine gewesen; sechsundfünfzig Überlebende waren gefasst worden, und die meisten waren wie Lämmer in den Container spaziert, als der Strom abgeschaltet und die Bedingungen klar waren. (Steigt ein, oder ihr seid tot.) Die übliche Verlustrate– ein paar waren unterwegs

Weitere Kostenlose Bücher