Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
hätten es getan, wenn der Kleine nicht gewesen wäre.
Peters Verstand hatte die Zwölf bisher immer nur als Kollektiv wahrgenommen; jetzt war er gezwungen, sie anders zu sehen. Einer war anders. In Masse und Statur wirkte er wie ein gewöhnlicher Viral. Doch in dem Augenblick, als die Zwölf sich auf Amy stürzen wollten, kam er ihnen zuvor: Ein kompakter Luftsprung brachte ihn zwischen sie und die andern, er fuhr zu ihnen herum, hob die Klauen und starrte sie herausfordernd an. Seine Brust dehnte sich in einem mächtigen Atemzug, er stülpte die Lippen zurück und bleckte die Zähne.
Die schmetternde Fanfare, die jetzt ertönte, stand in keinem Verhältnis zur Größe des Körpers, der sie hervorbrachte. Es war ein Heulen von reinster Wut. Es war ein Brüllen, das einen Wald gefällt, einen Berg eingeebnet, einen Planeten aus seiner Rotationsachse gedrückt hätte. Peter wurde buchstäblich zurückgestoßen, und seine Trommelfelle knackten schmerzhaft. Der kleine Viral hatte Amy nur eine Sekunde Zeit verschafft, aber das war genug. Sie konnte aufspringen, noch bevor die andern bei ihr waren.
Chaos.
Plötzlich war es unmöglich, noch zu erkennen, was sich abspielte oder wohin man schießen sollte. Die Bilder der Schlacht folgten so schnell aufeinander, dass das menschliche Auge ihnen nicht mehr folgen konnte. Peter begriff, dass er seine letzte Patrone verschossen hatte, aber dieser Umstand erschien unerheblich; die Waffe war ohnehin unnütz. Er sah, dass Alicia von der anderen Seite des Spielfelds vorrückte und immer noch schoss.
Wo waren Tifty und Nina?
Er spähte am Spielfeld entlang. Nina rannte auf das Podest zu und drückte die Bombe an die Brust. Tifty war hinter ihr. Sie schwenkte den freien Arm über dem Kopf hin und her und schrie aus voller Lunge: » Ihr Scheißer! Hier drüben! Hey!«
Einer der Virals nahm Notiz von ihr– erkannte er ihre Absichten? Wusste er, was sie da an sich drückte? Er ließ sich mit gespreizten Gliedmaßen auf sie herab wie eine Spinne auf einem Stück Seide. Tifty sah es als Erster. Er hob seine Waffe und wollte Nina zur Seite stoßen, kam jedoch zu spät. Wie bei allen fallenden Dingen war die Gelassenheit, mit der der Viral herabkam, trügerisch: Krachend landete er auf beiden, und Tifty fing den größten Teil der Wucht auf. Peter rechnete damit, dass die Bombe hochgehen würde, aber das tat sie nicht. Der Viral packte Nina beim Arm und schleuderte sie weg. Dann wandte er sich Tifty zu. Als Tifty seine Pistole hob, umschlang ihn die Bestie.
Ein Schrei. Ein Schuss.
Es war keine Entscheidung, es gab kein Pro, kein Kontra. Peter ließ seine Waffe fallen und rannte auf die Bombe zu, die im Dreck lag. Er rannte, so schnell er konnte.
Die beiden Einzigen, die alles sahen, waren Lore und Greer. Und auch da war es nur Greer, der Mann des Glaubens, dessen Gebete ihm ein tieferes Verständnis der Szene verschafft hatten, der sich einen Reim auf alles machen konnte.
Aus der Steuerzentrale war die Schlacht auf dem Spielfeld leichter zu verfolgen gewesen. Am einen Ende lag Eustace, bewusstlos oder tot, und zwischen ihm und dem Podest Tifty Lamont. Nina war in die Dunkelheit geschleudert worden und verschwunden. Alicia befand sich auf der gegenüberliegenden Seite; sie war die Einzige, die immer noch feuerte. Amy, die sich aus dem Getümmel befreit hatte, war auf das Gerüst gesprungen. Ihr Kittel war zerfetzt und von ihrem Blut durchtränkt, und sie drückte sich eine Hand in die Seite, als wolle sie eine blutende Wunde verschließen. Selbst aus dieser Entfernung konnte Greer sehen, wie schwer und mühsam sie atmete. Im nächsten Augenblick würden ihre Angreifer mit überwältigender Macht zuschlagen, ihre Haltung ließ jedoch nicht erkennen, dass sie an Rückzug dachte. Unbesiegbar sah sie aus, beinahe königlich.
Dann entdeckte er Peter, der auf dem Spielfeld entlangrannte. Wo wollte er hin? Zum Sattelschlepper?
Nein.
Greer stürmte aus dem Raum und die Treppe hinunter. Er würde sich mit seinem Körper durch die Menge pflügen, mit seinen Fäusten, und wenn es sein musste, mit seinem Messer. Amy, Amy, ich komme.
Alicia ließ es sich nicht nehmen. Sie hatte diesem heiligen Versprechen ihr ganzes Dasein geweiht. Seit der Höhle spürte sie es: ein einzigartiges Verlangen, das sie vorwärtszog, als werde sie durch einen langen Tunnel gesogen. Als sie sich den Zwölfen näherte und auf sie schoss– sie wusste, dass ihre Kugeln keinen wirklichen Schaden anrichten würden,
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