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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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vorwärts schnellen. Sie schlangen sich um ihn wie zwei Lassos und fesselten seine Arme an den Körper. Sein Lächeln zerschmolz zu einem überraschten Glotzen.
    Jetzt, sagte Amy.
    Mit einem kraftvollen Ruck bog sie sich zurück, zog Martínez aufrecht und wölbte seine breite, fleischige Brust. Martínez taumelte rückwärts, Alicia landete rittlings auf seinen Hüften und warf ihn zu Boden. Der Pfahl schwebte über ihrem Kopf, und sie umklammerte ihn mit beiden Fäusten. Aber sie ließ ihn noch nicht herunterfahren.
    » Sag es!«, schrie sie durch das Tosen in ihren Ohren. » Sag ihren Namen!«
    Seine Augen suchten nach einer Antwort. Louise?
    Und mit diesen Worten und mit allem, was sie war, stieß sie den Pfahl hinunter und in ihn hinein und tötete ihn auf die uralte Weise.
    Die letzten Sekunden der Schlacht auf dem Spielfeld waren für die Massen auf den Tribünen ein unscharfer, unverständlicher Wirbel. Aber nicht für Lucius Greer. Greer begriff, wie niemand sonst es konnte, was gleich geschehen würde. Die Ketten, die Amy benutzt hatte, um Martínez zu halten, banden sie jetzt an seinen Kadaver. Alicia bemühte sich, ihn zu drehen, um sie zu befreien. Sie waren ein leichtes Ziel, aber die restlichen Virals stürzten sich noch nicht auf sie. Vielleicht hatte Martínez’ Tod ihre gemeinschaftliche Gedankenkette zerrissen. Vielleicht hatte der schockierende Anblick, wie einer der Ihren von Menschenhand vernichtet wurde, sie gelähmt. Vielleicht wollten sie nur den Augenblick des Sieges noch hinauszögern, um aus ihrem letzten Angriff ein Höchstmaß an Befriedigung zu ziehen. Und vielleicht war es noch etwas ganz anderes.
    Es war etwas anderes.
    Als Greer über das Spielfeld rannte, kam eine zweite Gestalt von rechts heran. Ein kurzer Blick genügte, um zu erkennen, was sein Verstand schon wusste. Es war Peter. Er schrie und winkte wie Nina. Aber etwas war anders. Die Virals spürten es auch. Sie richteten sich wachsam auf, reckten die Nasen in die Luft, witterten.
    Peter war nackt bis zu den Hüften, und sein Oberkörper glänzte von Blut. Warm und frisch strömte es aus den langen, gebogenen Wunden von dem Messer, das er noch in der Hand hielt. Seine Absicht war klar: Er wollte die Virals von Amy und Alicia ablenken. Er war der Köder, aber was war die Falle?
    Die Falle war Wolgast.
    Und Greer hörte:
    Ich bin Wolgast.
    Ich bin Wolgast.
    Ich bin Wolgast.
    Greer rannte.
    Alicia sah es auch.
    Amy war immer noch an den toten Martínez gefesselt. Die Ketten hatten sich um sich selbst geschlungen, und mit jedem Zug spannten sie sich fester. Mit frustriertem Heulen hob Alicia den Kopf. Sie sah, wie Peter auf die Virals zugelaufen kam, sah, wie sie sich umdrehten und die Köpfe schräglegten. In ihren Augen glitzerte animalisches Interesse, die Lust am Töten.
    Peter, nein, dachte sie. Nicht du. Nach alldem nicht auch noch du.
    Wie Amy sich befreien konnte, erfuhr sie nie. Gerade war sie noch da, und im nächsten Augenblick war sie fort. Die leeren Handschellen würde man finden, wo sie sie zurückgelassen hatte, an den Ketten, die immer noch hoffnungslos an Martínez’ Leiche verknotet waren. In den nächsten Tagen würden sie alle darüber nachdenken, was dieser Umstand zu bedeuten hatte, und die Meinungen würden auseinandergehen. Es war ein Rätsel, wie Amy ein Rätsel war, und wie jedes Rätsel sagte es über den Sehenden genauso viel wie über das Gesehene.
    Aber das käme später. In dem Sekundenbruchteil, der noch blieb, wusste Alicia nur, dass Amy nicht mehr da war– dass sie davonflog. Ein leuchtender Streifen wie von einer Sternschnuppe, und dann fiel sie, fiel hinunter auf Peter.
    » Amy…«
    Aber mehr sagte sie nicht.
    Denn Wolgast liebte sie.
    Denn Amy war wieder bei ihm.
    Denn er konnte nicht zusehen, wie sie starb.
    Und Peter Jaxon, Lieutenant der Expeditionsstreitkräfte, hörte und sah und fühlte das alles. Mit einem einzigen Blick hatte Wolgasts ganzes Leben sich in seines ergossen. Sein umfassendes Leid. Die bitteren Verluste, die schmerzhafte Reue. Die Liebe zu einem vergessenen Kind und die lange Reise durch die hundertjährige Nacht. Ein Baby in seinem Bettchen, eine Frau, die es aufhob und in die Arme nahm, und ein beinahe heiliges Licht, das die beiden überstrahlte. Er sah Amy, wie sie gewesen war, ein kleines Kind von seltsamer Intensität, allein auf der Welt. Die Lichter eines Karussells, die Sterne am Winterhimmel und die Umrisse von Engeln im Schnee. Es war, als wären diese

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