Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Die Virals verdunkelten sein schrumpfendes Gesichtsfeld, er bekam einen letzten Eindruck von ihrer Pracht. Meine Brüder, dachte er, was passiert hier mit mir? Helft mir doch, meine Brüder, ich sterbe. Aber er sah keine Verwandtschaft in ihren Augen.
Verräter.
Verräter.
Verräter Verräter Verräter …
Noch anderes ereignete sich ringsum– Schüsse, Schreie, rennende Gestalten in der Dunkelheit. Doch Guilder bekam davon nichts mit. Er wusste, was mit ihm passieren würde. Gnadenlos und endgültig.
Shawna, dachte er, Shawna, ich wollte doch nur ein bisschen Gesellschaft haben. Ich wollte nur nicht allein sterben.
Dann stürzten sie sich auf ihn.
Das restliche Geschehen, das im Leben der Beteiligten nur siebenunddreißig Sekunden ausfüllte, wurde in überlappenden Einzelbildern wahrgenommen. Alles konzentrierte sich auf die Spielfeldmitte. Das phosphoreszierende Glühen der Virals und das Licht der Feuer– die Fässer am Rand brannten immer noch– verliehen der Szene einen Hauch von Hölle. Die Virals waren fertig mit Guilder; sein Körper lag in trockene Fetzen zerrissen weit verstreut auf dem Boden, eher Staub als Leichnam. Jetzt hatten sie sich zu einer lockeren Reihe formiert und musterten Amy zurückhaltend. Vielleicht wussten sie noch nicht, was mit ihr los war. Vielleicht hatten sie auch Angst vor ihr. Peter hatte seine Waffe wieder geladen und feuerte kurze Salven in ihre massigen Gestalten, doch ohne sichtbare Wirkung; die Kugeln prallten funkensprühend, aber folgenlos von ihren gepanzerten Körpern ab, und sie würdigten ihn nicht einmal eines Blickes. Von der anderen Seite des Spielfelds kam Alicia mit erhobener Pistole heran, und Nina und Tifty sprinteten längs über den Platz, um die Monster in die Zange zu nehmen. Ihr ganzer Plan war gegenstandslos geworden; es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihrem Instinkt zu vertrauen. Amy stand aufgerichtet auf dem Podest und breitete die Arme aus. An ihren Handgelenken baumelten die Ketten. Sie schwang sie in die Höhe und ließ sie in weitem Bogen und immer schneller um ihre Arme kreisen. Peter dachte an die Propeller auf dem Turbinenfeld der alten Kolonie, von denen sie sich ferngehalten hatten, und an Greer, der gesagt hatte: Das Kreiseln macht sie meschugge. Er begriff, dass Amy versuchte, die Virals zu verwirren. Schneller und schneller wirbelten die Ketten über ihrem Kopf in der Luft, eine hypnotisierende Kreiselbewegung. Die Zwölf erstarrten wie in Trance. Mit einem vogelartigen Ruck legte Amy den Kopf zur Seite, und mit konzentriertem Blick berechnete sie den Angriffswinkel. Peter wusste, was passieren würde.
Amy Harper Bellafonte war zur Waffe geworden. Amy, das Mädchen von Nirgendwo, erhob sich in die Luft.
Als sie voranschoss, schnellte sie die Ketten von ihrem Körper weg wie zwei Peitschen. Gleichzeitig zog sie den Kopf an die Brust und richtete sich mitten im Fluge so aus, dass sie mit den Füßen zuerst in Brusthöhe auf den Vordersten treffen würde, sodass ihre Gestalt sich im Augenblick des Aufpralls in einen Rammbock mit sechs Meter langen Eisenschwingen verwandelte. Sie hatte nur einen Bruchteil ihrer Größe, aber ihr Vorteil war der Schwung: Sie schleuderte den Ersten nach hinten, und als sie landeten, hatten die Ketten ihr Ziel gefunden und sich bei zwei anderen um den Hals gewickelt. Mit einem heftigen Ruck zog sie den linken Viral zu sich heran und bog seinen Kopf zurück, um seine Kehle zu entblößen. Sie vergrub das Gesicht unter seinem Kiefer und schüttelte ihn wie ein Hund, der einen Lumpen zwischen den Zähnen hat.
Der Viral heulte.
Blut sprühte hervor, Knochen krachten, und er starb.
Sie wickelte ihn mit einer schnappenden Handbewegung aus der Kette. Sein Körper drehte sich wie ein Kreisel von ihr weg. Ihre Aufmerksamkeit wandte sich dem Zweiten zu, aber das Gleichgewicht hatte sich verschoben: Das Überraschungsmoment war verbraucht, die hypnotische Wirkung der kreisenden Ketten war verflogen. Als sie den zweiten Viral zu sich heranriss, sprang die Bestie in die Höhe, und nach einem unkontrollierten Zusammenstoß rollten sie beide kopfüber von dem Podest. Amy riss die Kette herunter, aber sie schien nicht aufstehen zu können; auf Händen und Knien kauerte sie im Schlamm. Etwas wie eine Welle ging durch die Zwölf; ihr gemeinsames Bewusstsein fügte sich wieder zusammen und konzentrierte sich nun auf sie. Noch ein Augenzwinkern, und sie würden wie eine wütende Meute über sie herfallen.
Und sie
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