Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
schien hilfreich zu sein. Die Frau wandte das Gesicht zur Decke.
» Also, ich glaube, das ist mir schon aufgefallen«, sagte sie unbekümmert. » Es ist wirklich ein bisschen dunkel hier drin.«
» Das versuche ich Ihnen zu sagen.«
» Na, warum sagen Sie es dann nicht einfach?« Sie schnaubte empört. » Also kein ›Gartentor‹. Überhaupt keine Wandfarbe, wenn ich Sie recht verstehe. Ich muss sagen, das ist einigermaßen enttäuschend. Ich hatte wirklich gehofft, ich kriege das Kinderzimmer heute noch fertig.«
» Lady, ich glaube nicht…«
» Tatsache ist, dass eigentlich David dafür zuständig wäre, aber nein, er muss losziehen und die Welt retten und sperrt mich zu Hause ein wie eine Gefangene. Und wo zum Teufel steckt Yolanda? Verzeihen Sie, wenn ich fluche, aber wissen Sie, nach allem, was ich für sie getan habe, kann ich doch ein wenig Rücksicht erwarten. Wenigstens einen Anruf.«
David. Yolanda. Wer waren diese Leute? Das alles war komplett rätselhaft und ziemlich verrückt, doch eins war klar: Diese arme Frau, wer immer sie sein mochte, war mutterseelenallein. Wenn Grey nicht eine Möglichkeit fände, sie von hier wegzubringen, würde sie nicht lange durchhalten.
» Vielleicht könnten Sie es einfach weiß streichen«, schlug er vor. » Davon gibt’s hier doch sicher jede Menge.«
Sie sah ihn skeptisch an. » Warum sollte ich es weiß streichen?«
» Es heißt doch immer, Weiß passt zu allem, oder?« Himmelherrgott, hör dir das an! Er klang wie eine von diesen Tunten im Fernsehen. Aber etwas anderes fiel ihm nicht ein. » Sie können ja mit einer anderen Farbe noch einen Akzent setzen. Bei den Vorhängen und so.«
Sie überlegte kurz. » Ich weiß nicht recht. Es kommt mir ein bisschen langweilig vor. Andererseits wollte ich mit dem Streichen heute fertig werden.«
» Genau.« Grey bemühte sich zu lächeln, so gut er konnte. » Das meine ich ja. Sie streichen es weiß an, und dann überlegen Sie sich den Rest, wenn Sie sehen, wie es aussieht. Das würde ich Ihnen empfehlen.«
» Und Weiß passt zu allem. Da haben Sie recht.«
» Sie sagten, es geht um ein Kinderzimmer, ja? Da können Sie später noch eine Bordüre anbringen, um es ein bisschen aufzupeppen. Wissen Sie, Häschen oder so was.«
» Häschen, sagen Sie?«
Grey schluckte. Wie war er darauf gekommen? Häschen waren die allerliebste Lieblingsspeise der Glühstäbe gewesen. Er hatte gesehen, wie Zero ganze Wagenladungen davon verschlang.
» Ja«, brachte er hervor. » Häschen mag jeder.«
Er sah, dass die Idee ihr gefiel. Damit stellte sich die nächste Frage. Angenommen, die Frau wäre bereit zu gehen– was dann? Er konnte sie ja kaum sich selbst überlassen. Außerdem fragte er sich, wie weit ihre Schwangerschaft war. Fünf Monate? Sechs? Er konnte so etwas nicht beurteilen.
» Ja, ich glaube, an dem, was Sie sagen, ist etwas dran«, sagte die Frau, und ihr feinknochiges Kinn bewegte sich auf und ab, als sie nickte. » Anscheinend sind wir wirklich auf derselben Wellenlänge, Mr. Grey.«
» Lawrence«, sagte er.
Lächelnd streckte sie die Hand aus. » Nennen Sie mich Lila.«
Erst als er im Volvo der Frau saß– Lila hatte tatsächlich ein Bündel Geldscheine an der Kasse hinterlegt und einen Zettel hinterlassen, auf dem sie versprach zurückzukommen–, wurde Grey klar, dass sie ihn erfolgreich dazu überredet hatte, ihr das Kinderzimmer anzustreichen. Er konnte sich nicht erinnern, tatsächlich zugestimmt zu haben; es war einfach irgendwie passiert, während er ihr die Farbeimer zum Wagen trug, und ehe er sichs versah, fuhren sie los. Die Frau steuerte den Wagen durch die verlassene Stadt, vorbei an Autowracks und aufgedunsenen Leichen, umgekippten Militärlastern und dem noch qualmenden Schutt vor ausgebrannten Wohnblocks. » Wirklich«, bemerkte sie und lenkte den Volvo um die rußschwarze Hülle eines Fed-Ex-Lieferwagens herum, ohne hinzusehen, » man sollte doch meinen, die Leute hätten Verstand genug, ein Abschleppunternehmen anzurufen, statt ihre Autos einfach auf der Straße stehen zu lassen.« Dann schwatzte sie weiter von ihrem Kinderzimmer– mit den Häschen hatte er ins Schwarze getroffen– und schob immer wieder eine giftige Zwischenbemerkung über David ein. Grey nahm an, er war ihr Ehemann. Vermutlich war er irgendwo hingegangen und hatte sie allein zu Hause gelassen. Nach allem, was Grey gesehen hatte, war er wahrscheinlich zu Tode gekommen. Vielleicht war die Frau schon vorher verrückt
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