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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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gewesen, aber das glaubte er nicht. Sie hatte etwas Schlimmes erlebt, etwas richtig Schlimmes. Es gab einen Namen dafür; das wusste er. Post-traumatisches Soundso. Einfach gesagt, die Frau wusste es, aber in seinem Schockzustand beschützte ihr Gehirn sie vor der Wahrheit– vor einer Wahrheit, die Grey ihr früher oder später würde erzählen müssen.
    Sie erreichten ihr Haus, eine große, aus Backstein gemauerte Tudor-Villa, die die Straße überragte. Schon an der Art, wie sie ihn angesprochen hatte, war zu erkennen gewesen, dass sie wohlhabend war, doch das hier war noch mal etwas anderes. Grey holte ihre Einkäufe aus dem Kofferraum des Volvo– neben der Farbe hatte sie noch ein Paket Walzen, eine Farbwanne und ein Sortiment Pinsel mitgenommen– und trug sie die Treppe hinauf. An der Haustür fummelte Lila mit ihrem Schlüsselbund herum.
    » Sie klemmt immer ein bisschen.«
    Sie stemmte die Tür mit der Schulter auf, und ein Schwall abgestandene Luft wehte heraus. Grey folgte ihr in die Diele. Er hatte erwartet, dass es drinnen aussehen würde wie in einem Schloss, mit schweren Vorhängen und Polstermöbeln und tropfenden Kronleuchtern, aber das Gegenteil war der Fall: Es erinnerte ihn eher an ein Büro, nicht an ein Haus, in dem wirklich jemand wohnte. Links kam man durch einen breiten Bogen in ein Esszimmer mit einem langen Glastisch und ein paar unbequem aussehenden Stühlen. Rechts war das Wohnzimmer, dessen trostlose Weite nur von einer niedrigen Couch und einem schwarzen Flügel unterbrochen wurde. Einen Moment lang stand Grey einfach stumm da; er hielt seine Farbeimer vor sich und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er roch etwas– ein saurer Hauch von altem Müll wehte aus den Tiefen des Hauses heran.
    Das Schweigen wurde drückend, und Grey überlegte sich hastig, was er sagen könnte. » Spielen Sie?«, fragte er.
    Lila legte eben Handtasche und Schlüsselbund auf das Tischchen neben der Tür. » Spiele ich was?«
    Grey deutete auf den Flügel. Sie drehte den Kopf und schaute das Instrument an. Sie sah irgendwie aufgeschreckt aus.
    » Nein«, antwortete sie dann stirnrunzelnd. » Das war Davids Idee. Ein bisschen prätentiös, wenn Sie mich fragen.«
    Sie führte ihn die Treppe hinauf, und die Luft wurde dicker und heißer, je höher sie kamen. Grey folgte ihr auf dem Teppichläufer bis zum Ende eines Korridors.
    » Da wären wir«, verkündete sie.
    Das Zimmer wirkte unverhältnismäßig kuschelig, wenn man die Ausmaße des Hauses bedachte. In einer Ecke stand eine Leiter, und der Boden war mit einer Abdeckplane bedeckt, die mit Klebstreifen an den Fußleisten befestigt war. Eine Walze lag in der Farbwanne und wurde in der Hitze langsam hart. Grey ging ein paar Schritte weiter ins Zimmer hinein. Anscheinend waren die Wände ursprünglich in einem neutralen Cremeton gestrichen gewesen, aber irgendjemand– vermutlich Lila– hatte planlos breite gelbe Streifen kreuz und quer darübergezogen, ohne dass ein bestimmtes Muster erkennbar gewesen wäre. Er würde drei Schichten anbringen müssen, um das zu verdecken.
    Lila stand in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. » Wahrscheinlich ist es ziemlich offensichtlich«, sagte sie und zog den Kopf zwischen die Schultern. » Ich bin nicht besonders gut im Streichen. Jedenfalls kein Profi wie Sie.«
    Das schon wieder, dachte Grey. Aber nachdem er jetzt beschlossen hatte mitzuspielen, gab es keinen Grund, ihr auszureden, dass er wusste, was er tat.
    » Brauchen Sie noch etwas, bevor Sie anfangen?«
    » Ich glaube nicht«, brachte Grey hervor.
    Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand. Anscheinend überkam sie plötzliche Müdigkeit– als wäre sie ein Ballon, aus dem langsam die Luft entwich. » Ich glaube, dann lasse ich Sie jetzt allein. Ich werde kurz die Füße hochlegen.«
    Damit war sie verschwunden, und Grey hörte, wie weiter hinten im Flur eine Tür geschlossen wurde. Na, das war vielleicht ein Ding, dachte er. Dass er heute noch das Babyzimmer im Haus einer reichen Lady anstreichen würde, hätte er sich nicht träumen lassen, als er im » Red Roof« aufgewacht war. Er lauschte nach weiteren Geräuschen, hörte jedoch nichts mehr. Vielleicht das Komischste an der ganzen Sache war, dass er nichts dagegen hatte. Wirklich nicht. Die Frau hatte nicht mehr alle Tassen im Schrank, und sie kommandierte ihn ganz schön herum. Aber es war ja nicht so, dass er ihr was vorgemacht hätte; sie hatte nicht mal gefragt, wer er war. Es tat gut zu spüren,

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