Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
zum Mund hob, krampfte sich in seinem Inneren etwas zusammen wie eine Schraubzwinge.
» Entschuldigen Sie mich kurz.«
Er bemühte sich, nicht zu rennen. Er lief in den Wirtschaftsraum und erreichte das Spülbecken gerade noch rechtzeitig. Normalerweise machte es Lärm, wenn er kotzte, aber diesmal nicht: Anscheinend floss die Suppe geschmeidig aus seinem Körper. Gott, was war nur los mit ihm? Er spülte sich den Mund aus, sammelte sich einen Moment lang und kehrte zum Tisch zurück. Lila sah ihn besorgt an.
» Ist die Suppe in Ordnung?«, fragte sie zaghaft.
Er konnte das Zeug nicht mal ansehen. Ob sie die Kotze in seinem Atem riechen konnte? » Sie ist gut«, stotterte er. » Ich hab nur… keinen großen Hunger, glaub ich.«
Die Antwort schien sie zufriedenzustellen. Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, bevor sie wieder sprach. » Ich hoffe, die Frage stört Sie nicht, Lawrence, aber– suchen Sie Arbeit?«
» Als Anstreicher, meinen Sie?«
» Ja, klar. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Denn ich habe den Eindruck– und verzeihen Sie, wenn ich voreilige Schlüsse ziehe–, Sie haben möglicherweise… nichts Rechtes zu tun. Was ja in Ordnung ist. Verstehen Sie mich nicht falsch. So etwas passiert manchmal.« Sie spähte mit schmalen Augen über den Tisch. » Aber Sie arbeiten nicht wirklich bei Home Depot, oder?«
Grey schüttelte den Kopf.
» Das dachte ich mir doch! Eine Zeitlang haben Sie mich wirklich an der Nase herumgeführt. Aber sei’s drum, Sie haben wunderbar gearbeitet. Wirklich wunderbar. Was mich nur bestätigt. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Denn ich möchte Ihnen gern helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Sie waren so hilfsbereit, dass ich Ihnen auch gern einen Gefallen tun möchte. Gott weiß, dass hier jede Menge getan werden muss, nachdem David verschwunden ist. Wer weiß, wo er sich herumtreibt. Da muss die Bordüre geklebt werden. Dann das Problem mit der Klimaanlage, und der Garten, na, den Garten haben Sie ja gesehen…«
Grey wusste, wenn er sie jetzt nicht bremste, würde er hier nie wieder rauskommen. » Lady…«
» Bitte.« Sie hob die Hand und lächelte warmherzig. » Lila.«
» Lila, okay.« Grey holte Luft. » Ist Ihnen nichts… Merkwürdiges aufgefallen?«
Sie runzelte verwirrt die Stirn. » Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
Am besten versuchte er es Schritt für Schritt, dachte Grey. » Das mit dem Strom zum Beispiel.«
» Ach, das.« Sie winkte ab. » Das haben Sie schon im Baumarkt erwähnt.«
» Aber finden Sie es nicht komisch, dass er immer noch weg ist? Meinen Sie nicht, das sollte inzwischen längst behoben sein?«
Ein Ausdruck leiser Besorgnis huschte über ihr Gesicht. » Ich hab nicht die leiseste Ahnung. Ehrlich, ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
» Und David– Sie sagen, er hat sich nicht gemeldet. Seit wann?«
» Na, er hat viel zu tun. Sehr viel sogar.«
» Ich glaube nicht, dass er sich deshalb nicht meldet.«
Ihre Stimme klang völlig ausdruckslos. » Das glauben Sie nicht.«
» Nein.«
Ihre Augen wurden argwöhnisch schmal. » Lawrence, wissen Sie da etwas, das Sie mir nicht sagen? Denn wenn Sie ein Freund von David sind, dann haben Sie hoffentlich so viel Anstand, es mir zu sagen.«
Grey hätte ebenso gut versuchen können, eine Fliege aus der Luft zu fangen. » Nein, er ist kein Freund von mir. Ich will nur sagen…« Es blieb ihm nichts anderes übrig; er musste es aussprechen. » Ist Ihnen aufgefallen, dass keine Menschen mehr da sind?«
Lila starrte ihn durchdringend an und verschränkte die Arme über dem Babybauch. In ihrem Blick lag eine kaum gebändigte Wut. Unvermittelt stand sie auf, nahm ihre leere Suppenschale vom Tisch und brachte sie zur Spüle.
» Lila…«
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf, ohne ihn anzusehen. » Ich erlaube nicht, dass Sie so reden.«
» Wir müssen weg von hier.«
Sie warf die Schale klappernd in die Spüle und drehte den Wasserhahn auf. Erbost drehte sie ihn hin und her, aber ohne Erfolg. » Verdammt noch mal, da ist kein Wasser! Warum geht das verfluchte Wasser nicht?«
Grey stand auf. Sie fuhr zu ihm herum und ballte wütend die Fäuste.
» Verstehen Sie denn nicht? Ich kann sie nicht wieder verlieren! Ich kann nicht!«
Diese Worte ergaben keinen Sinn. Redete sie von ihrem Baby? Und was meinte sie mit » wieder«?
» Wir können nicht hierbleiben.« Vorsichtig machte er einen Schritt auf sie zu, als sei sie ein verschrecktes Tier. » Wir sind hier nicht
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