Die Zypressen von Cordoba
der
Unausweichlichkeit des Todes entgegenzuwirken.
Die Tür zur Straße quietschte in den Angeln, als er in der
Stille der Nacht nach Hause zurückkehrte. Als sie den Klang seiner
leisen, schnellen Schritte vernahm, kam Sari ihm über den Innenhof
entgegen. Einen Augenblick lang saßen sie zusammen im bleichen Schimmer
des Mondes.
»Sari«, hob Da'ud leise an, nahm ihre schmale Hand in die
seine, »wie auch die Operation morgen ausgeht, es ist klar, daß die
Tage meines Vaters gezählt sind. Wir können noch einige wenige Jahre
für ihn gewinnen und ihm übermäßiges Leiden ersparen, aber das
Geheimnis der Unsterblichkeit besitzen wir nicht. Der einzige Trost,
auf den wir unsere Hoffnung setzen können, ist die Zeugung neuen
Lebens, um das zu ersetzen, das seinen Abschluß gefunden hat. Es ist
Zeit, Zeit für dich und mich, Sari, Zeit, daß wir den ewigen Kreislauf
des Lebens erneuern.« Sari erhob ihren Blick zu ihm, blickte ihm in die
Augen, nicht ängstlich oder trotzig, sondern mit großer Aufrichtigkeit
und Zuneigung.
»Ich warte schon einige Zeit darauf, daß du mir davon sprechen
würdest, aber seit Ya'kubs großer Mattigkeit noch mehr. Ich habe keine
Rechtfertigung, dir das zu versagen, was dein natürliches Recht ist. Du
hast mich gelehrt, daß ich meine eigene Wahl treffen kann, aber ich
darf auf keinen Fall für dich entscheiden. Du mußt dir eine andere Frau
nehmen, Da'ud, eine Frau, die dir viele Söhne und Töchter gebiert und
dein Haus mit Leben und Jugend und Fröhlichkeit erfüllt. Ich werde in
meinem Herzen keinen Groll gegen dich oder gegen die Mutter deiner
Kinder hegen. Noch wird sich an meiner tiefen Zuneigung zu dir etwas
ändern«, murmelte sie und legte ihm den Kopf an die Schulter. »Denn in
meiner eigenen unvollkommenen Art habe ich dich lieben gelernt.«
»Aber ich wünsche mir doch dich als die Mutter meiner Kinder«,
antwortete Da'ud ihr, und jede Silbe, die er sprach, kündete von seinem
Schmerz.
»Ich weiß. Und von dem Augenblick an, als ich die
Aufrichtigkeit deiner Liebe zu mir erkannte, habe ich mich so sehr
bemüht …«, erklärte sie ihm, und die Tränen, die ihr über die
Wangen strömten, vermengten sich mit den seinen. »Aber ich darf deinem
Begehren nicht länger im Weg stehen. Du mußt dir eine Frau suchen und
Erfüllung finden. Das muß die kostbaren Bande, die zwischen uns
bestehen, nicht durchtrennen.«
Verwirrt und innerlich zerrissen, konnte Da'ud nicht
antworten. Eine andere Frau zu nehmen, eine Frau, die er niemals so
lieben könnte, wie er Sari geliebt hatte und immer noch liebte, das
würde bedeuten, daß er sich sein Versagen eingestand, ihre panische
Angst vor der körperlichen Liebe zu überwinden – trotz der
großen Geschicklichkeit, ja Kunst, die er in seinen langen, geduldigen
Versuchen aufgebracht hatte, sie davon zu befreien. Versagen, das war
ein bitteres Gefühl, das ihm bisher unbekannt gewesen war. Er lehnte
sich dagegen auf, weigerte sich, es hinzunehmen. Und doch war die Logik
hinter Saris Worten ganz klar. Eine andere Ehefrau. Wie sehr ihm das
widerstrebte. Nur der Gedanke, daß er kinderlos bleiben würde, war ihm
noch mehr zuwider.
»Ich denke darüber nach«, war alles, was er dazu sagte. »Gehe
nun und ruhe dich aus. Ich werde noch eine Weile länger aufbleiben.
Vielleicht bringen mir die Sterne Rat.«
Zufriedenheit strahlte auf dem rosigen
Gesicht von Abu'l Kasim, als er aus dem Krankenzimmer trat. Er umarmte
Da'ud herzlich und sagte: »Er hat sich erstaunlich gut gehalten. Einige
Wochen der Ruhe, und er sollte wieder ganz der Alte sein.«
»Und die Geschwulst?« drängte ihn Da'ud.
»Klein genug, daß ich sie ganz herausschneiden und ausmerzen
konnte, und in einer Lage, daß ich auch die Umgebung bis zum gesunden
Gewebe entfernen konnte. Ich habe die Wunde bis in die Wurzeln hinein
ausgebrannt, was die Heilung beschleunigen sollte. Ich bitte Euch um
Entschuldigung dafür, daß ich Euch nicht erlaubt habe, bei der
Operation anwesend zu sein. Ich fürchtete, daß eine Gefühlsbezeugung
von Euch, dem Sohn des Kranken, oder von Eurem Vater meiner
Konzentration hätte abträglich sein können. Geht jetzt zu ihm. Er ist
noch ein wenig benommen von dem Mohntrank, den ich ihm zur Beruhigung
verabreicht habe, aber ansonsten geht es ihm so gut, wie man es nur
erwarten kann.«
Da'ud schwirrte der Kopf vor Erleichterung, als die Anspannung
plötzlich von ihm abfiel. Ein Dankgebet auf den Lippen, betrat er das
improvisierte Behandlungszimmer
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