Diebe
den Bahnsteig zu. Als sie einmal zurückblickt, sieht sie, dass es ein neues Handgemenge gibt. Miguel ist auf den Beinen, versucht dem Polizisten einen Tritt zu verpassen, und dann sieht sie ein hageres Gesicht in der Menge, das ihr zugrinst, die dazugehörigen Hände sind erhoben und bilden mit den Fingern ein T, und gleich darauf schlüpft die ganze Person aus dem Gedränge heraus – Lucien!
Gerade vor ihnen stößt der Zug nach Tianna einen Pfiff aus und setzt sich in Bewegung.
»Der Zug ist weg, Demi!«
»Komm weiter, Baz!«
Sie rennen, so schnell sie können, so schnell, dass die Lungen fast platzen, am Gleis sieben vorbei den Querbahnsteig hinunter und dann auf das Gleis vier. Dort fährt in diesem Moment ein Nahverkehrszug ab, aber auf den hat es Demi keineswegs abgesehen. Er drängt Baz die Bahnsteigkante entlang und springt dann hinunter auf das leere Gleis. Einen Moment lang zögert sie, blickt sich noch einmal um und muss an den fliehenden Jungen denken, der von dem APA-Mann erschossen wurde, aber es ist keine APA hinter ihnen her, nur ein Bahnbeamter, der zornig mit den Armen rudert und in seine Pfeife bläst. Demi ist bereits dabei, halb laufend, halb hüpfend über die Schienen zu eilen.
Es ist blanker Wahnsinn, was er da macht, andererseits gibt es aber auch kein Zurück mehr, also springt sie hinterher. Am Ende des Gleises setzt Demi über die Stromschiene und zeigt auf den Zug nach Tianna, der ungefähr zwanzig Meter weiter gehalten hat, damit ein halbes Dutzend bereits rangierter Güterwaggons angekuppelt werden kann.
»Schnell!«
Wie viel Zeit bleibt ihnen? Wenn der Zug erst einmal in Bewegung ist, dann ist es das gewesen. Es gibt keinen anderen Ausweg für sie. Bitte, denkt Baz, bitte. Nur ein bisschen Zeit ...
Und so hüpfen und springen sie über die Schienen, versuchen ihre Schrittlänge dem Abstand der Schwellen anzupassen, und dann, gerade als sie den Zug erreicht haben und Demi schon aufgesprungen ist, um die Tür zum hintersten Abteil aufzuziehen, da setzt sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung. Baz ist dran, doch schon nimmt der Zug Geschwindigkeit auf. Sie greift nach der Türkante, kommt aus dem Tritt, gerät ins Stolpern, und plötzlich, als sie den Halt bereits verloren hat, packt Demi ihre Hand, zieht sie hoch, hält sie fest, bringt sie in Sicherheit.
Vor ihnen sitzen ein paar flachgesichtige Frauen vom Land, die ihnen entgegenstarren, aber nichts sagen, sondern nur die Füße einziehen, als Demi die Tür zumacht. Ein pingelig wirkender Mann auf der anderen Seite des Ganges begutachtet sie murrend und drückt seine Aktentasche fest an die Brust. »Ihr habt kein Recht, in diesen Zug zu steigen. Wir haben alle für unsere Fahrkarten bezahlt.«
»Wir ham unsere auch bezahlt«, sagt Demi. »Komm, Baz.«
Der Zug schaukelt und ruckelt, während die zwei sich durch das Abteil arbeiten und in das nächste überwechseln. Der Schaffner hält sie an, doch als er die Fahrkarten sieht, die Demi aus seiner Gesäßtasche zieht, lässt er sie passieren. »Plätze sind weiter vorn«, sagt er, und wenige Minuten später sitzt Baz völlig erledigt auf einem Fensterplatz, während draußen die Randbezirke der Stadt an ihr vorbeiziehen. Demi dagegen, auf dem Sitz gegenüber, grinst sich eins. »Was würdste bloß machen, wenn du mich nicht hättest, der für dich mitdenkt, Baz?«, sagt er.
»Würd ’n schönes, angenehmes Leben leben«, sagt sie.
»Hättst mich sehn solln, Baz. Als dieser Uniformierte mich am Wickel hatte, dacht er schon, ich bin tot, aber dann«, er macht ein Pfeifgeräusch und wischt mit der Hand durch die Luft, »bin ich lebendiger als der Wundermann. Also, wozu hast du dich eigentlich in den Uniformierten reingeschmissen, als wärst du ’n wild gewordener kleiner Elefant?«
»Um dich zu retten, Demi. Wie ich’s immer tu.«
Er wirft sich in die Brust. »Nicht nötig. Braucht ’ne ganze Armee, um mich zu fangen.«
»Demi, wann wirst du mal ’n bisschen erwachsen?«
Er lacht, höchst angetan von sich selbst. »Wenn wir in Tianna sind, vielleicht.«
»Hast du gesehn, was mit Lucien passiert ist?«
Sein Grinsen verschwindet. »Nein, diese Ratte Miguel ist schon um mich rumgeschlichen, als ich die Fahrkarten gekauft hab, hing mir am Ärmel, wollte mir unser Geld klauen.« Er klopft auf die Wölbung in seiner Hosentasche.
»Miguel ist gar nicht da gewesen, um zu klauen«, sagt sie. »Er war da, um zu spioniern. Er ist jetzt Kundschafter für Eduardo.«
»Dann ist
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