Diebe
angelangt ist. Er ist gut, der kleine Hesus, denkt Baz, wie ein flüchtiger Schatten. Sie sieht, wie seine Hand sich auf die Tasche des Besuchers zubewegt.
Schnell wie eine Schlange hat der jedoch Hesus’ Hand gepackt und ihn so heftig herumgerissen, dass er das Gleichgewicht verliert. Hesus japst auf, als ihm der Arm umgedreht wird, und dann lässt der junge Mann ihn einfach los, sodass Hesus auf die Knie fällt. Der Mann lächelt. »Gut«, sagt er, »aber nicht besonders schnell.«
Fay klatscht in die Hände. »Sehr gut«, sagt sie. »Schnell. Ist gut, so schnell zu sein, wenn man ins Barrio kommt.« Niemand außer ihr klatscht. »Komm. Wir haben einiges zu besprechen.«
Hesus kommt wieder hoch und schleicht, während er sich den Arm hält, in seine Ecke zurück.
Der junge Mann beachtet ihn nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt Demi. »Bist du besser als er?«, fragt er.
Demi zuckt mit den Schultern. »Wennse mich bei der Arbeit sehn wolln, müssense mal mit auf die Straße kommen. Hier drin arbeite ich nicht. Wennse ’n Affen suchen, der Tricks vorführt, gehnse in den Zoo.«
»Ich brauch keinen Zoo«, sagt er, den Blick unablässig auf Demi gerichtet. »Ich hab dich auf der Straße arbeiten sehen. Hab gesehen, wie du den Schmuck von dieser Frau genommen hast.« Er stößt ein dünnes Lachen aus. »Ist natürlich Pech, wenn man sich die Frau vom Captain dafür aussucht.«
Demis ganzer Körper spannt sich. »Soll das ’ne Drohung sein?« Der amüsierte Gesichtsausdruck des jungen Mannes verändert sich nicht. Demi federt auf seinen Zehen auf und ab, als mache er sich bereit, dem anderen eine zu verpassen – wenn ihm nicht der Tisch im Weg wäre. Fay gibt ihm einen Klaps, drückt ihn auf einen Stuhl.
»Pass auf, was du sagst«, faucht sie. »Dieser Mann hat einen geschäftlichen Vorschlag zu machen und wir hören ihn an.«
»Dieser Mann?«, sagt der junge Mann gelassen, nach wie vor mit einer gewissen Belustigung in der Stimme. »Dieser Mann? Wissen sie nicht, wer ich bin?«
»Sie wissen, dass ich für dich gesorgt hab, ein gutes Zuhause für dich gefunden hab, als du noch ganz klein warst. Und jetzt sieh dich an«, sagt sie bewundernd. »Hast gute Sachen an, redest gebildet, und ich wette, du hast Geld in der Brieftasche. Miguel!«, sagt sie scharf. »Hast ihn hoffentlich nicht durch üble Gegenden hier im Barrio geführt?« Baz fällt auf, dass sie den jungen Mann noch immer nicht beim Namen genannt hat, und sie fragt sich, warum das so ist, fragt sich, ob irgendetwas Besonderes an der Familie ist, der sie ihr Baby übergeben hat. Ihr fällt außerdem auf, dass Fay gar nicht mehr die Augen von ihm wenden kann.
»Niemand ist ihm nahgekommen, Fay.«
»Guter Junge. Komm, setz dich. Baz, bring uns ein bisschen Wein. Miguel, räum den Tisch ab.«
Sie setzen sich: der junge Mann links neben Fay, Demi rechts. Baz stellt einen Krug auf den Tisch und dazu einen kleinen Teller mit scharfer, in Scheiben geschnittener Wurst. Fay gießt Wein in ein Glas für den Besucher und dann für Demi, nicht aber für die anderen. Demi füllt sein Glas mit Wasser auf. Der junge Mann beobachtet ihn und tut es ihm gleich. Fay sagt: »Lieber vorsichtig sein, wenn man wo neu ist, wie?«
Der junge Mann hebt sein Glas. »Ich bin immer vorsichtig ... Mutter«, sagt er, dann nimmt er einen Schluck von seiner Weinschorle.
Für einen ganz kleinen Moment wirkt Fay fast schockiert, dann entspannt sich ihr Gesicht zu einem echten Lächeln. Nickend erhebt auch sie ihr Glas, um diesem smarten, beherrschten jungen Señor, den sie einst für eine Stange Geld weggegeben hat, zuzuprosten. Rund um den Tisch herrscht dagegen Schweigen. Demi sieht erst Fay an und dann, mit herausforderndem Blick, den jungen Mann. »Fay, wird jetzt langsam Zeit, dass du uns erzählst, was es mit diesem Jungen auf sich hat. Warum, wenn er so was Besondres ist, kommt er hier ins Barrio und lässt sich mit uns ein? Erklär uns, warum wir ihm trauen sollen.«
»Ja«, stimmt der Jüngling zu, »erzähl es ihnen doch.« Und es ist ein Hauch von Spott in seiner Stimme zu hören, als er hinzufügt: »Sind wir nicht schließlich alle eine Familie?«
11
Eine Familie.
Es ist, als ob jemand die entscheidende Trumpfkarte auf den Tisch geknallt hat und alle anderen Spieler starren ihn fassungslos an. Hesus’ Augen glänzen feucht, er begreift nicht so recht die Bedeutung dessen, was soeben gesagt wurde; Giacco nickt grinsend, als sei ihm klar, was läuft, aber
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