Diebe
tatsächlich begreift er noch weniger als der kleine Hesus; Miguel leckt sich die Lippen und beobachtet den jungen Mann, ebenso Demi. Nur Baz, die etwas von den anderen entfernt neben der Spüle steht, starrt Fay an. Fay lächelt, und das tut sie nur, wenn sie bekommen hat, was sie will. Baz fragt sich, ob dieser harte Engel aus dem Villenviertel wirklich ihr Sohn ist. Er mag ungefähr achtzehn sein, vielleicht ein bisschen älter. Fay gibt nie Auskunft, wenn Baz nach ihrem Alter fragt, lacht bloß und sagt: »Alt, so alt, wie ich aussehe.« So alt sieht sie in Baz’ Augen nicht aus, vielleicht irgendwo in den Dreißigern, schwer zu sagen. Oder Ende zwanzig. Das würde heißen, dass sie ungefähr zwölf war, als sie das Baby bekommen hat, also jünger als Baz jetzt. So was kommt vor, das weiß Baz. Sie hat sie gesehen im Barrio, in den besonders armen Vierteln, ganz junge Mädchen, mager und abgespannt, ihr in Lumpen gewickeltes Baby an die Brust gedrückt. Immer sehen sie ängstlich und hungrig aus, und so müde, als ob jeder Windhauch sie fortwehen könnte. Es ist schwer, sich Fay so vorzustellen, dazu ist sie zu stark. Zu stark, um ihr leibliches Kind wegzugeben. Und doch will sie genau das getan haben.
Ein Blitz lässt das Zimmer für einen kurzen Augenblick aufleuchten. Der junge Mann fängt Baz’ Blick auf und sieht ihr geradewegs in die Augen. Plötzlich beschämt, senkt sie den Blick. Er erinnert sie an einen Engel und zugleich erinnert er sie an einen Wolf.
»Was ist jetzt, Fay?«, sagt Demi. »Wir ham ein Recht, Bescheid zu wissen über diesen ... Jungen von dir. Hat er eigentlich einen Namen?«
Nach wie vor lächelnd, tätschelt Fay den Arm des jungen Mannes und sagt: »Er kann für sich selbst sprechen.«
»Klar.« Für einen Moment lässt er seine linke Hand auf der ihren liegen. Mutter und Sohn? Bruder und Schwester beinahe. Beide helle Haare, helle Haut, jedenfalls im Vergleich zum Rest der Runde. »Der Name, den man mir gegeben hat, lautet Eduardo Dolucca.« Seine Sprechweise ist klar und präzise, fast glänzend, denkt Baz, wie ein Auto aus den vornehmen Vierteln. »Sagt euch das irgendetwas?«
» Der Dolucca?« Demi bemüht sich, die Überraschung und das Misstrauen nicht durchklingen zu lassen. Es gelingt ihm nicht. Wenn dieser Jüngling der ist, der er zu sein behauptet, dann ist er der Sohn des Polizei-Captain und der Dame mit dem gelben Hut, deren Ring Demi gestohlen hat.
»Ja.« Der junge Mann lächelt. »Ziemlich clever von meiner Mutter, so eine Familie für mich zu finden, nicht?« Baz glaubt dem Lächeln nicht, glaubt auch nicht, dass er wirklich der Ansicht ist, Cleverness habe dabei irgendeine Rolle gespielt.
»Ich wollte, dass du gut aufgehoben bist«, sagt Fay. Sie schürzt die Lippen und bläst eine dünne Rauchfahne ins Zimmer. »Hab nicht drüber nachgedacht, was sein wird, wenn die Jahre vergehn. Ich war jung, musste irgendwie leben.« Sie klopft Asche in die Schale. »Vielleicht sprechen wir ein andermal drüber.«
Demi ist anderer Ansicht. »Wir sollten wissen, warum er hergekommen ist, Fay. Warum er uns die ganze Zeit beobachtet hat. Er hat beobachtet, was wir auf der Straße gemacht ham, vielleicht hat er Fotos gemacht. Er braucht nichts weiter zu tun, als sie seinem Vater zu zeigen.« Er schnippt mit den Fingern. »Hey! Er könnte uns alle ins Schloss bringen, einfach so. Haste da mal drüber nachgedacht, Fay?«
Fay macht eine wegwerfende Handbewegung. »Demi, werd erwachsen. Du vergeudest Zeit.«
Aber Demi ist nicht zu bremsen. »Und warum sollte er denn hierherkommen? Er hat ’n gutes Leben. Guck ihn dir doch an. Reicher Junge!« Er spricht die beiden Wörter aus, als machten sie ihm einen schlechten Geschmack im Mund. »Warn Sie auf dem College?« Eduardo neigt den Kopf. »Ham Geld, sich Sachen zu kaufen. Guckt euch seine Uhr an.« Eduardo hält den Arm hoch, damit sie die Uhr besser sehen können: klobig und silbern. Als würde man hundert Dollar am Handgelenk tragen, denkt Baz. Nicht sehr klug, so etwas im Barrio zu machen, aber offenbar hat ihn ja niemand belästigt. Auf sie macht er den Eindruck, als sei er hier schon halb zu Hause, aber es ist etwas dran an dem, was Demi sagt. Dieser Plan, den er Fay vorgelegt hat, der sieht vor, dass sie sein Haus ausrauben, den Captain der Polizei bestehlen, nachdem sie bereits einen Ring von seiner Frau gestohlen haben. Würde das nicht alles zum Einsturz bringen, was sie sich aufgebaut haben?
»Warum sindse ins Barrio
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