Diebe
als sie aufwacht, fühlt sie sich schlapp und ausgelaugt. Ihre Augen brennen, und ihr tut alles weh, so als hätte sie sich durch heißes Pech kämpfen müssen, durch Schlamm, in den man immerzu einsinkt, und irgendwo draußen in der sich lichtenden Dunkelheit ruft, wie ihr langsam bewusst wird, eine Stimme. Für einen Moment glaubt sie, sie würde noch immer schlafen und dies sei der Ruf eines Vogels, aber ihre Augen sind offen, und das Rufen, begreift sie plötzlich, kommt nicht von einem Tier, sondern da schreit jemand ihren Namen, und dieser Jemand hat schreckliche Angst.
Einen Moment lang liegt sie ganz still. Dann krabbelt sie wie wild die Leiter hoch zum Deck und rutscht die Schräge hinunter zur Reling. Sie starrt hinaus zu der grauen gestaltlosen Masse des Ufers. Da ertönt der Ruf wieder, näher jetzt, irgendwo bei der Boje, die ihr als Wegmarkierung im Schlamm dient.
»Baz!«
Es ist Demi! Er ist doch gekommen! Plötzlich wird sie von Panik gepackt. Er ist gekommen, und jetzt passiert etwas Schreckliches mit ihm, und sie kann ihn nicht sehen, kann ihn nirgendwo sehen. Aber er muss dort sein, irgendwo, dort draußen im Schlamm.
Dann endlich kann sie ihn ausmachen. Ein paar Meter abseits des Weges zappelt er mit wedelnden Armen, als würde er um sein Gleichgewicht kämpfen, und wird langsam hinabgezogen.
»Halt still«, ruft sie. »Beweg dich nicht. Ich komme.«
Sie rast zurück nach unten und taucht wenige Sekunden später wieder auf, ein Bündel in den Armen, das sie mit einer ihrer Baumwolldecken zusammengeknotet hat. Das Bündel über die Schulter werfend, stürmt sie vom Boot hinunter und schlittert durch den schmalen Streifen aus weichem Schlamm, bis sie ihren Pfad erreicht, auf dessen Zickzackkurs sie sich dann, so schnell es irgend geht, auf Demi zubewegt.
Als sie bei der Boje angelangt ist, steckt er schon fast bis zur Hüfte im Schlamm. »Baz, hol Hilfe. Fay, die weiß bestimmt, was zu tun ist.«
»Nein.« Dafür ist keine Zeit. »Du musst stillhalten«, sagt sie, lässt das Bündel von der Schulter gleiten und reißt es auf. Zwei ihrer dünnen Plastikkissen und ein paar Baumwolldecken hat sie mitgebracht. Diese rollt sie auf und knotet sie zusammen, sodass sie einen Strang von etwa drei Metern Länge ergeben, und dann, die Kissen in der einen, das improvisierte Rettungsseil in der anderen Hand haltend, verlässt sie vorsichtig den sicheren Grund bei der Boje. Nach nur zwei Schritten fühlt sie, wie die trockene Schlammhaut nachgibt, und sofort sinkt ihr Fuß bis über den Knöchel ein. Eilig, damit der Schlamm sie gar nicht erst richtig zu fassen kriegt, macht sie zwei weitere Schritte, dann wirft sie eins der Kissen so, dass es in Demis Reichweite landet, und legt das andere vor sich auf den Boden.
»Wirf dich auf das Kissen, so wie ich hier.« Und sie legt sich, alle viere von sich gestreckt, mit Brust und Bauch auf das Kissen, sodass es einen Teil ihres Gewichts aufnimmt. Es wird sie nicht ewig tragen, aber vielleicht lange genug, dass sie Demi herausziehen kann.
»Ich kann nicht«, sagt er.
»Lehn dich nach vorn, als würdest du fallen.«
Er beugt sich vor. Zwar kommen seine Beine nicht hoch, aber sein Gewicht drückt ihn vorwärts, und dadurch schafft er es, das Kissen zu fassen. »Das olle Teil nutzt mir gar nix, Baz. Was stellst du dir vor?« Der Schlamm greift über seine Taille hinaus, verdunkelt den Bauch, nähert sich dem Brustkorb.
»Streck die Arme aus, als würdest du schwimmen«, sagt sie. Ihr eigenes Kissen steckt schon zwei Zentimeter tief im Schlamm, und sie verhält sich so reglos, dass sie sich kaum gestattet zu atmen. Sie müssen sich beeilen, und sie ist sich nicht mal sicher, ob ihr Plan funktioniert. Aber sie bemüht sich, ihre Stimme zu kontrollieren. Wenn Demi anfängt zu zappeln, ist er schneller verschwunden als eine Ratte im Abwasserkanal.
»Ich krieg Schlamm ins Gesicht, Baz.«
»Halt den Kopf hoch und fang das hier auf, Demi, und halt es gut fest.« Sie hat ihr Behelfsseil aufgewickelt, und jetzt schleudert sie es mit gestrecktem Arm nach vorn, in der Hoffnung, dass es sich entknäuelt, bevor es auf dem Boden auftrifft. Es gelingt, und Demi kann das Ende so gerade eben mit den Fingerspitzen berühren, kriegt es aber nicht zu fassen.
»Lang hin, Demi! Komm schon«, zischt sie. »Du bist so clever, du schaffst das. Du bist doch ein halber Zauberer, sagst du, jetzt kannst du’s zeigen ...« Sie drängt und lockt, und Demi müht sich und sinkt noch etwas
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