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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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ihr die Sache gar nicht so wichtig. Sie wollte nur, dass ich ihr ’n Aspirin hole und nicht so’n Lärm mache. Ich und Lärm! Seit wann, bitte schön, mach ich Lärm? Na ja, ich hab ihr das Aspirin gebracht, und dann hat sie mir noch gesagt, dass wir beide später wieder rechtzeitig zurück sein müssten.«
    Er verstummt und hüpft ein bisschen auf den Zehen auf und ab. Es ist sein »Mir-doch-egal«-Hüpfen. Es bedeutet, dass ihm irgendwas zu schaffen macht, er aber nicht darüber nachdenken will. »Miguel war auch schon auf«, sagt er unvermittelt. »Hab gesehn, wie er die Sachen von den andern Jungs durchgeguckt hat. Er hat echt Rattenblut in den Adern. Hab ihm gesagt, wenn er meine Sachen anrührt, begrab ich ihn im Fluss.«
    »Da bist du jetzt Experte, ja?«
    »Experte im Rauskommen aus schwierigen Situationen, das bin ich.«
    »Wie du dich wieder aufbläst, Demi! Ich mach mir echt Sorgen, wenn du das tust. Irgendwann bist du plötzlich so voller Luft, dass du aufsteigst wie ein Ballon und einfach wegwehst.«
    »Fliegen. Könnt ich ohne Weiteres.« Er grinst, dann springt er auf, tritt an die Straße und schwenkt beide Arme auf und ab – nicht um zu fliegen, natürlich, sondern um den nahenden Laster zum Anhalten zu bewegen.
    Mit durchdringendem Quietschen der Bremsen kommt ein Monsterlaster der städtischen Müllentsorgung neben den beiden zum Stehen und ein Fenster wird heruntergelassen. Das Gesicht im Fenster trägt die gleiche verspiegelte dunkle Sonnenbrille, wie die Polizisten sie haben. Die Haare des Mannes sind zu kurzen grauen Stoppeln geschoren, aber dafür hat er einen überdimensionalen struppigen Schnauzbart, der sich bis unter die Mundwinkel zieht. Sprechen tut er langsam, mit breitem ländlichem Akzent. »Wo wollt ihr hin?«
    Mit einer ruckartigen Kopfbewegung deutet Demi in die Richtung, in die sie wollen, über die Brücke und landeinwärts. »Zum Berg«, sagt er.
    »Da fahr ich hin«, sagt der Mann. »Steigt ein.« Er macht die Tür auf, Demi klettert als Erster hoch, Baz folgt ihm. Sobald die Tür geschlossen ist, legt der Fahrer den Gang ein und fährt wieder los. »Sechster Bezirk«, sagt er, »jeden Tag. Die Tour könnt ich blind machen.« Er wirft ihnen einen Blick zu. »Gibt nicht viele Leute, die in diese Richtung wollen. Kommt echt selten vor. Habt ihr Familie da draußen oder so?« Er ist ein voluminöser Mann, sein schweißnasses Jeanshemd spannt bedrohlich über dem Bauch. Das Lenkrad wirkt wie ein Spielzeug in seinen Händen. Sein Atem riecht nach Zwiebeln.
    »Sozusagen«, sagt Demi.
    Baz findet, dass das eine gute Antwort ist, weil Familie das ist, was sie mit Raoul verbindet. Demi verändert sich, denkt vielleicht schon ein bisschen mehr so wie sie und ein bisschen weniger wie Fay. Würde er noch so denken wie Fay, wäre sie jetzt alleine auf diesem Laster unterwegs.
    Der Fahrer findet die Antwort allerdings nicht so toll. »Von ’ner ›Sozusagen‹-Familie hab ich noch nie gehört«, sagt er. »Wenn meine Familie so was über mich sagt, tret ich ihnen in ’n Hintern.« Er lacht, und Baz fragt sich, was für eine Familie er wohl hat, wenn ihn die Vorstellung, ihnen in den Hintern zu treten, zum Lachen bringt. »Schon vorher mal hier in der Gegend gewesen?« Er fasst sie kurz ins Auge, will sich vielleicht ein Urteil bilden, aus was für einem Viertel sie kommen. Sie wirken beide gepflegt, jetzt wo Demi frisch gewaschen ist und sich saubere Sachen angezogen hat. Vielleicht sind sie ein klein bisschen mitgenommen von der Wanderung, aber sie sehen nicht übel aus. Jedenfalls nicht wie irgendwelches Lumpengesindel, das die Polizei einfach von der Straße zu fegen pflegt und dabei sicher sein kann, dass niemand groß nachfragt, zu welchen Methoden sie dabei greift.
    »Ham die Ratten eure Zungen aufgefressen?«, sagt der Fahrer. »Hab gefragt, ob ihr schon mal auf’m Berg draußen wart?«
    Sie schütteln beide den Kopf. »Nein, Señor«, sagt Demi. »Wir genießen nur die Fahrt. Gibt nicht oft die Gelegenheit, in so ’nem tollen Laster zu sitzen.«
    »Bin kein neugieriger Mensch«, sagt der Fahrer, »aber wenn jemand ankommt und mit in meinem Fahrerhaus sitzt, dann erwarte ich, dass er sich ’n bisschen mit mir unterhält.« Er lässt ein Lächeln aufblitzen, vielleicht um zu signalisieren, dass er’s nicht böse meint, aber Baz sieht in dem Lächeln hauptsächlich die gelben Zähne und dass sich keine kleinen Fältchen rund um die Augen bilden wie bei Mama Bali, wenn sie

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