Diebe
tiefer. »Benutz deinen Arm, Demi. Drück mit einer Hand in den Schlamm und streck dich mit der andern.« Seine Augen sind weit aufgerissen vor Angst, aber er tut, was sie ihm sagt, schleudert seinen linken Arm nach vorn, und gleichzeitig lässt er, den Kopf senkend, sein Gesicht in den Schlamm eintauchen, wodurch er die paar Zentimeter gewinnt, die er noch braucht, während die rechte Hand sich nach der Decke streckt.
Baz hat die Augen geschlossen. Jetzt gilt’s. Einen Moment lang fühlt sie nichts, aber dann strafft sich die Decke. Er hat sie. »Sachte«, sagte sie. »Ganz ruhig. Jetzt auch die andre Hand.«
Es folgen Spuckgeräusche, ein Grunzen und dann ein weiterer Ruck. »Hab sie«, sagt er, und sie beginnt zu ziehen, langsam mit der einen Hand und dann mit der anderen, und Stück für Stück gleitet Demi aus dem Schlamm heraus. Sein Gesicht glänzt schwarz, nur das Weiß seiner Augen ist zu sehen und die Zähne in dem zu einer angestrengten Grimasse verzogenen Mund. Und dann hört man ein weiches, lang gezogenes, saugendes Platschen – seine Füße sind frei. Nun kann Baz ihn, das Kissen wie einen Schlitten nutzend, Hand über Hand am Seil zu sich heranziehen, bis sie einander Auge in Auge gegenüberliegen.
»Warum musst du dich unbedingt hier verstecken, Baz?« Sein Gesicht ist eine Schlammmaske und seine Stimme ganz belegt von der übergroßen Anstrengung. »Du bist einfach nur schwierig.« Er spuckt und verzieht das Gesicht, versucht die Schlammbrocken rund um seinen Mund zu beseitigen, was aber nur zur Folge hat, dass er noch mehr davon verschluckt.
Baz stemmt sich vorsichtig aus dem Schlamm hoch, hebt die Plastikkissen auf, wickelt ihr Stoffseil zusammen und macht sich dann, ohne abzuwarten, ob er ihr folgt, über ihren unsichtbaren Pfad auf zur Uferkante. Über die Schulter sagt sie: »Es klang so, als würdest du nicht mitkommen wollen. Dann tauchst du plötzlich doch auf und bringst dich in diese Klemme. Was ’n Glück, dass du mich hast. Der Fluss hätt dich mit Haut und Haaren geschluckt, und du bist so klein, dass du nicht mal ’ne Spur hinterlässt.«
Er ist zu müde, um sich provozieren zu lassen, folgt ihr einfach nur verdrossen. Am Ufer angelangt, zieht sie drei Plastikflaschen mit Waschwasser aus ihrem Lager unter einer verlassenen Hütte hervor und gießt ihm geduldig Wasser in die zusammengelegten Hände, damit er sich den gröbsten Schmutz aus dem Gesicht und von den Armen waschen kann. »Hat Fay dich weggehn sehn?«
»War am Schnarchen wie ’n Warzenschwein. Hat zu viel Wein gehabt gestern Abend.« Und schon fällt der Schrecken des beinahe tödlich ausgegangenen Abenteuers von ihm ab und seine übliche Art gewinnt wieder die Oberhand: »Hätt auch an ihr vorbeischleichen können, wennse wach gewesen wär. Du vergisst, wozu Demi imstande ist.«
»Was ich jedenfalls nicht vergesse, ist, dass deine Klappe genauso groß ist wie deine Füße.« Sie schüttet ihm noch etwas Wasser auf die Hände und betrachtet ihn dann kritisch. »Da lässt uns keiner mitfahrn, so wie du nach Schlamm stinkst.«
»Gib mir fünf Minuten«, sagt er. »Ich hab noch ’n paar saubere Klamotten und ich hol mir noch ’n Eimer von Lucien.«
Also wartet sie, während er sich eilig aufmacht. Die Sonne steht schon recht hoch am Horizont. Der Himmel ist knallblau – ein weiterer Glutofentag in der Stadt. Hinter ihr erwacht das Leben im Barrio. Sie verstaut die Flaschen wieder an Ort und Stelle und lässt sich im Schneidersitz in dem bisschen Schatten nieder, den die Hütte spendet. Ihre Hände ruhen auf den Knien, und erst jetzt fällt ihr auf, wie ihre Finger noch immer zittern, wie ihr das Herz in der schmalen Brust klopft. War das Ganze ein Zeichen? Dass der Fluss sie hinabzuziehen versucht hat – war das ein Zeichen? Und wenn ja, wofür? Vielleicht gefällt es diesem alten Fluss nicht, wie sie immer auf ihm herumläuft, auf ihrem Boot schläft, vielleicht ist der Fluss der Ansicht, dass sie da jetzt langsam mal wieder verschwinden könnte. Aber sie hat Demi nicht losgelassen, obwohl sie’s hätte können. Wenn der schlammige alte Fluss ihn wirklich hätte hinabziehen wollen, hätte sie das Seil aus ihren Händen gleiten lassen müssen ... oder selbst mit hinabgezogen werden. Vielleicht ist es das, was der Fluss ihr sagen wollte: Nie loslassen. Egal, was passiert.
13
Nur der einmal wöchentlich verkehrende Bus, der bis ganz ins Landesinnere fährt, überquert die nördlichste Brücke der Stadt, und
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