Diebe
Baz.« Anstatt sie noch einmal zu schlagen, streicht sie Baz übers Gesicht. »Komm.« Sie drückt Baz auf einen Stuhl und gießt ihr ein Glas Wasser ein. Dann stellt sie den Kessel auf die Flamme, um Kaffee zu kochen. Sie setzt Baz einen Teller mit Brot, kaltem Fleisch und einer halben Tomate vor und drängt sie zu essen, und während Baz zunächst nur in dem Essen stochert, hört Fay sich an, was sie zu erzählen hat.
»Armer Demi. Du bist sicher, dass sie ihn gekriegt ham?«
»Sie ham ihn.«
»Glaubst du, der Mann mit der Pistole hat ihn erwischt?«
»Ich hab ihn nur fallen sehn.« Sie blickt auf das Stück Brot in ihrer Hand und legt es zurück auf den Teller. Anstatt die Erinnerung auszublenden, wie sie es während der endlos langen Momente in dem Loch der Straßenbaustelle und auf der ebenso langen Wanderung zurück gemacht hat, versucht sie das, was sie gesehen hat, jetzt in allen Einzelheiten wieder wachzurufen. Hat er den Kopf gehoben? Nein, aber sie erinnert sich jetzt an die Art, wie sie ihn abtransportierten, nicht ein Mann an den Füßen und ein anderer an den Schultern, die ihn hinten ins Auto geworfen hätten, als wäre er eine Leiche, die irgendwo auf einer Müllkippe entsorgt werden soll, nein, er ist von jeweils einem Mann an den Armen gefasst und vorsichtig auf den Rücksitz gehievt worden. War es so? Gut möglich. »Ich glaub, er ist gestürzt. Er hatte sich verletzt, als er aus dem Fenster gesprungen ist. Sie ham ihn mitgenommen.«
»Demi im Schloss gelandet«, sagt Fay halb zu sich selbst. Sie sieht Baz an. »Armer Demi. So schnell und so geschickt. Als wär er unter einem besondren Stern geborn. War schon immer so, seit er zu mir gekommen ist –« Sie bricht ab.
Baz starrt sie an.
Fay langt über den Tisch und ergreift noch einmal Baz’ Hand. »Er wird nichts über seine Fay erzählen, nicht wahr, Baz?«
»Nein! Das würd Demi nie tun. Wie kriegen wir ihn aus dem Schloss raus, Fay?« Fay antwortet nicht. Baz beugt sich vor, entwickelt Vorstellungen beim Reden. »Wir gehn gleich mal los. Was meinst du? Ich stell Fragen. Sage, dass ich meinen Bruder vermisse. Es gibt keinen Beweis, dass er was geraubt hat. Niemand hat ihn springen sehn. Niemand hat gesehn, dass wir was genommen ham, und er hatte kein Geld bei sich.«
Fay packt ihre Hand fester. »Red kein dummes Zeug, Mädchen. Keiner geht auf Besuch ins Schloss – nicht, wenn er aus’m Barrio kommt.«
»Du kennst viele Leute, Fay, und du hast Geld zurückgelegt für Notfälle. Das ist jetzt einer. Du musst ihm helfen.«
»Ihm helfen!« Sie setzt sich gerade, als habe sie etwas gestochen. »Hab ihm mein ganzes Leben lang geholfen. Warum läuft er den Greifern auch genau in die Arme! Verrückter Junge!« Sie fegt Baz’ Einwände beiseite. »Erzähl mir nichts. Ich weiß, wie’s ist. Er weiß auch, wie’s ist. Besser, wenn Demi tot ist, als dass er da landet.« Sie senkt die Stimme und wirft einen Blick auf die noch schlafenden Jungen. »Die bringen ihn zum Reden und dann sind wir alle geliefert.« Sie scheint Baz jetzt kaum noch wahrzunehmen, ihre blassen Augen sind offenbar auf Dinge gerichtet, die nur sie sehen kann: ihre Ängste, das Scheitern all ihrer Pläne, das Alter, das zahnlos und mit krummem Rücken auf sie zugekrochen kommt.
Baz starrt sie an, kann einfach nicht begreifen, wie es zugehen kann, dass Fay sich vor ihren Augen in eine vollkommen andere Person verwandelt, und diese hier ... diese Person, die vor ihr sitzt, die findet sie widerlich. Sie schiebt ihren Stuhl zurück. »Demi tot? Was redest du? Willst nichts tun. Glaubste, du bist sicher, Fay? Hast dein Kind wieder. Vielleicht hat er ja dein Geld irgendwo sicher versteckt. Aber vielleicht täuschst du dich. Vielleicht hat dich dein Engelsjunge ganz groß hinters Licht geführt.«
Fay sieht Baz an, als sei sie diejenige, die nicht bei Sinnen ist. »Sei nicht albern, Baz. Kann sein, dass Eduardo irgendwas am Plan ändern musste. Oder vielleicht ist der Fahrer auf krumme Ideen gekommen und wir müssen ihn suchen und ihm das Geld wieder abnehmen. Geh, mach was zu essen für die Jungen. Ich hab was zu erledigen.«
»Was erledigen?«
»Herausfinden, wo das Geld hin ist.«
»Und Demi?«
»Vergiss Demi. Ich kümmer mich um Demi.«
Fay steht abrupt vom Tisch auf und geht, das Handy aus der Hosentasche ziehend, in ihr Zimmer. Etwas Privates also, was sie zu erledigen hat, etwas, wovon Baz nichts mitbekommen soll. Etwas mit Eduardo.
Baz bleibt für einen Moment
Weitere Kostenlose Bücher