Diebe
Platz.
»Soll ich ’n Eimer für dich ziehn, Baz?«
Sie gibt ihm seine zwei Cent und spritzt sich das Wasser auf Gesicht und Nacken. Er hockt sich währenddessen hin, wobei seine knochigen Beine auf beiden Seiten so weit übers Kinn hinausragen, dass er wie eine große Stabheuschrecke aussieht.
Er sieht ihr beim Waschen zu. »Was passiert, Baz?«
»Ja.«
Es ist so viel, dass sie sich das alles nicht einmal selbst im Kopf zurechtlegen, geschweige denn Lucien erzählen kann.
Er nickt. Er hat die Gabe, Unheil an Gesichtern abzulesen. »Demi?«
Sie benutzt die bloßen Hände, um sich die Nässe aus dem Gesicht zu wischen, anschließend reibt sie die Hände an ihrer Jeans trocken. »Demi ist von den Greifern geschnappt worden.« Sie versucht beiläufig zu sprechen, als wäre alles nicht weiter dramatisch, aber ihre Stimme zittert. Sie wendet sich ab. »Ich muss zu Fay«, sagt sie. »Danke für das Wasser, Lucien.«
»Jederzeit, Baz.« Dann, als sie bereits zehn Schritte in eine Gasse hineingegangen ist, die zu dem Graben führt, den man überqueren muss, um zu ihrem Haus am alten Flussufer zu gelangen, ruft er ihr hinterher: »Hast seine Hand losgelassen, stimmt’s, Baz?«
Nein! Sie hat seine Hand nicht losgelassen! Wütend reibt sie sich mit dem Unterarm über die juckende Nase und die brennenden Augen. Er ist in die falsche Richtung gelaufen, das war alles. Genauso gut hätte sie es sein können, die der Captain sieht. Es hätte auch sie sein können, die vom Scheinwerferlicht erfasst wird. Er hat doch gesagt, dass sie sich trennen sollen. So war die Regel. Sie hat nicht losgelassen.
Sie erreicht das Haus und zieht an der Klingelstrippe neben dem Eingang. Sie hört die Glocke ganz oben im Bauch des Gebäudes, dann steigt sie hinauf, bis sie zu ihrer Tür kommt. Ohne zu zögern, stößt sie sie auf und tritt ein.
»Wo bleibt ihr denn?« Die Bude ist ganz grau von dem Rauch aus Fays schwarzen Zigarillos. Die Jungen liegen zusammengerollt auf ihren Matratzen, sie schlafen noch, aber Fay steht, wild wie eine Hexe, in ihrer Zimmertür. Sie sieht furchtbar aus. Die Haare gleichen einem Sturm, der um ihren Kopf herum tobt, das Gesicht ist verkniffen, die Augen rot gerändert. Das Hemd hängt aus der Hose, ein Ärmel ist bis zum Ellbogen aufgekrempelt, und den halb nackten Arm hält sie krampfhaft umklammert, als würde sie nur so gerade eben noch die Fassung bewahren.
»Wo sind sie? Sag’s mir, Fräulein. Los, erzähl.« Sie hat noch nie Fräulein zu ihr gesagt. »Keiner kommt, keiner ruft mich an. Das ist heut der Tag, an dem Moro kommt! Wo ist das Geld hin?« Die letzte Frage ist ein flüsternder Aufschrei.
»Ich hab kein Geld«, sagt Baz mit fester Stimme.
»Was soll das heißen? Du weißt, was er angedroht hat. Willst du für diesen Mann arbeiten?« Fay marschiert zu ihr und schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. »Wo’s Demi? Wieso is Demi nicht hier? Du kommst nie, niemals ohne ihn zurück.«
»Glaubst du, das weiß ich nicht?«
Fays Hand zuckt wieder nach oben. »Baz, fang an zu reden, aber schnell, sonst mach ich irgendwas kaputt, das schwör ich, und du bist das Erste, was ich in die Hände krieg.«
Baz mustert sie. Die Adern auf ihren Händen und seitlich am Hals sind dick angeschwollen. Zum ersten Mal erkennt Baz etwas in Fay, das sie vorher noch nie gesehen hat, etwas, das sich hinter dem Wüten verbirgt, hinter der stahlharten Entschlossenheit, mit der sie sich in dieser rauen Umgebung eine Existenz aufgebaut hat: Sie sieht Verwirrung, vielleicht sogar Panik. Fay kann wüten, so viel sie will, sie macht Baz keine Angst. Das ist vorbei.
»Domino und Miguel sind getürmt und ham uns zurückgelassen, damit die Greifer uns schnappen können. Hab Miguel noch durchs Fenster gucken sehn. Sie ham das Geld. Haste das so geplant mit deinem Goldjungen Eduardo? Haste beschlossen, dass es Zeit ist für mich und Demi, weiterzuziehn?«
»Nein! Du bist ja verrückt!« Sie furcht mit den Händen durch ihr Haar, dass es nach oben absteht wie Fledermausflügel. »Und Miguel hat mit in diesem Auto gesessen?«
Baz nickt.
»Hat ihm hier keiner gesagt, dass er das tun soll!« Sie schnappt sich Baz’ Hand, hält sie fest, sieht sie eindringlich an, als könne sie ein Geheimnis in ihren Augen lesen, das Baz ihr nicht verraten will. Aber da ist kein Geheimnis in Baz’ Augen, nur die Wahrheit. Der Sturm zieht vorbei. »Immer die Wahrheit«, flüstert sie. »Hast mich noch kein einziges Mal angelogen,
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