Diebe
Sie streicht mit den Fingern durch ihr kurzes Haar und betrachtet ihr Spiegelbild im Straßenbahnfenster. So blass ist das Bild, dass sie sich kaum erkennen kann, so als wäre sie gerade dabei zu verschwinden.
Fünfzehn Minuten später steht sie vor der Bar. Eine Zeit lang hält sie noch Abstand, dann heftet sie sich kurzerhand einem Mann und einer Frau an die Fersen, offenbar ein Ehepaar. Es könnten ihre Eltern sein, abgesehen davon, dass sie aus besseren Kreisen kommen. Sie haben nicht die stumpfbraune Haut der Leute vom Land, so wie Baz.
Ein Kellner runzelt die Stirn. »Entschuldigung«, sagt er, »gehört das Kind zu Ihnen?« Baz wartet nicht erst ab, dass man ihr Fragen stellt. Ohne Eile spaziert sie auf einen leeren Tisch am Fenster zu. Perfekt.
Dass der Kellner ihr folgen würde, war klar. »Du kannst hier nicht sitzen.« Er wischt mit einem Tuch über den Tisch, als wolle er nicht nur die Krümel, sondern sie gleich mit wegfegen.
Sie lächelt ihm zu, so breit, wie sie’s nur grade hinkriegt. Demi sagt, wenn sie lächelt, dann werden ihre Augen so groß, dass ihm davon schwindlig wird. Sie weiß nicht, ob das etwas Gutes ist, aber genau dieses Lächeln zeigt sie dem Kellner, und außerdem zieht sie einen von Fays Geldscheinen aus der Tasche und streicht ihn auf dem Tisch glatt. Ein Fünfziger.
Die Augen des Kellners weiten sich ein wenig.
»Cola, bitte«, sagt sie.
Der Kellner neigt leicht den Kopf und schlängelt sich dann zwischen den Tischen davon. Sie steckt den Schein in ihre Tasche zurück. Eine Cola kostet nur neunzig Cent. Er ist bescheuert, wenn er glaubt, dass sie ihm neunundvierzig Dollar Trinkgeld gibt, aber Geld wirkt trotzdem Wunder. Sie wünschte, sie hätte tausendmal so viel – dann könnte sie das Wunder bewirken, Demi aus dem Schloss zu holen.
Die Cola wird serviert, und während sie die ersten Schlucke nimmt, blickt sie sich gründlich um, nimmt jeden einzelnen Tisch unter die Lupe. Alles sauber. Dann beobachtet sie die Straße, hält Ausschau nach Señora Dolucca, nach Polizisten in unauffälliger Kleidung.
Menschen strömen vorbei, einige machen einen Abstecher ins Café. Ihre Cola ist fast leer, als sie sie sieht. Auf hohen Hacken kommt sie die Straße heruntergetrippelt, in einer mintgrünen Jacke zum mintgrünen Rock und einer mintgrünen Tasche, die ihr über die Schulter hängt. Die Dame muss wohl in diesen eisig kühlen Geschäften an der Hauptstraße leben und dort ihr ganzes Geld ausgeben, um so auszusehen. Sie trägt eine große dunkle Brille und blickt sich immer wieder mal um.
Als sie die Bar betreten hat, mustert Señora Dolucca die Tische, ohne den Kellner zu beachten, der sich nach ihren Wünschen erkundigt. Ihr Blick schweift über Baz hinweg und richtet sich auf eine Frau, die allein in der Ecke sitzt. Baz beobachtet, wie sie nach kurzem Zögern auf sie zugehen will. Schnell erhebt sie sich von ihrem Tisch. »Señora Dolucca«, sagt sie. »Hier, ich hab ein Plätzchen für Sie freigehalten.«
Die Frau des Polizei-Captain zuckt zusammen, fast als sei sie gestochen worden. »Du?«, sagt sie zögernd. »Ich dachte, es wäre eine Frau gewesen, mit der ich vorhin gesprochen habe.«
»Kommen Sie«, sagt Baz, und instinktiv streckt sie die Hand aus, um die ältere Frau zwischen den Tischen hindurchzugeleiten, und die Frau lässt sich, vielleicht zu ihrer eigenen Überraschung, an die Hand nehmen. »Vielleicht möchten Sie ’n Kaffee, vielleicht was Kaltes? Ich spendier Ihnen was.«
Die dunklen Gläser schirmen sie ab wie ein Paar Fensterläden, aber ihre Finger liegen krampfhaft auf der Tasche, und die Tasche hält sie unter den Arm geklemmt wie einen Flügel. Ihr Kopf dreht sich, mustert noch einmal die Bar. »Du bestellst mich her und dann spendierst du mir etwas zu trinken?« Ihre Stimme schwankt ein bisschen. Nervös.
Kostet sie einiges, ganz allein an einen solchen Ort zu kommen, ohne zu wissen, wem sie begegnen wird, mit der Sorge, dass ihr Leben oder das ihrer Kinder bedroht sein könnte.
»Möchten Sie mit jemand anders sprechen?«, sagt Baz. »Vielleicht lieber mit einem Mann ...«
»Nein.« Sie setzt sich, dann hebt sie die Hand, und sofort ist der Kellner bei ihr. Eine solche Frau muss nie auf Bedienung warten. »Tee«, sagt sie. »Jasmin. Haben Sie den?« Der Kellner neigt den Kopf.
Es entsteht eine Pause. Die schicke Frau und das Mädchen, so eng an dem runden Tisch beisammensitzend, dass sich ihre Knie fast berühren, warten darauf, dass der
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