Diebe
Kellner zurückkehrt. Baz macht ein möglichst neutrales Gesicht. Sie ist sich nicht sicher, wie sie anfangen soll. Ihr Gesicht verrät nichts, ihre Hände liegen entspannt auf dem Tisch. Sie nimmt einen Schluck Cola. Sie sieht die Frau unentwegt an.
Diese Frau ist der Schlüssel, denkt sie, der Schlüssel, der mir Demis Zelle aufschließt. Aber wie fängt sie das an? Ist diese Frau den ganzen Weg hierher wirklich nur wegen des Rings gekommen, wegen eines Stücks Schmuck? Das glaubt Baz einfach nicht. Längst hat sie Señora Doluccas Schwarzmarktwert taxiert: hübsche Ohrstecker, gute Qualität; Armreifen, vier, Silber, und eine hübsche Armbanduhr; keine Kette oder sonst was um den Hals; Handtasche, teuer. Sie beobachtet, wie der Mittelfinger der Frau, der mit dem fetten gelben Klunker am Knöchel, an ihrem Daumennagel kratzt. Wie sie am Verschluss ihrer Tasche herumfingert und dann blitzschnell eine Packung Mentholzigaretten hervorzieht, sich eine herausklopft und sie anzündet. Baz beschließt abzuwarten, die Frau die Fragen stellen zu lassen.
»Diese wertvolle Sache ...«, sagt Señora Dolucca, während sie Rauch ausbläst. »Wirst du mir sagen, was es ist?«
Baz ignoriert die Frage. »Ham Sie Ihrem Mann, dem großen Captain, gesagt, was Sie vorhabn?«
Señora Dolucca schüttelt den Kopf, und dann rauscht schon der Kellner heran, stellt die Tasse mit Jasmintee und eine winzige Schale mit dünnen schwarzen Schokoladentäfelchen auf den Tisch. Er schiebt den Bon unter die Schale, und dann, mit einer angedeuteten Verbeugung vor der eleganten Frau, verzieht er sich wieder Richtung Bar.
»Was weißt du von meiner Familie?«, fragt Señora Dolucca plötzlich.
Jetzt gilt’s. Baz kommt es ein bisschen so vor, als wären sie bei dem Kartenspiel, das sie manchmal mit Demi spielt, und Señora Dolucca hätte sich gerade in die Karten gucken lassen. Sie nimmt sich eins von den Schokotäfelchen. Als sie noch allein am Tisch saß, hat der Kellner keine Schokolade gebracht »Ich weiß so einiges über Ihre Familie.« Sie beugt sich vor und senkt ihre Stimme. »Ich weiß, dass Ihr Mann Geschäfte macht, die keine Polizeigeschäfte sind.« Die Schokolade schmilzt zwischen ihren Fingern, daher steckt sie sie rasch in den Mund. Sie schmeckt so, wie der Himmel wohl schmecken muss. Ohne zu überlegen, greift sie nach dem nächsten Stück.
Die Frau sitzt ganz still. Von ihrem Tee hat sie noch keinen Schluck getrunken.
»Machen Sie sich Sorgen wegen Ihren Kindern?«
»Bedroht ihr meine Kinder?« Ihre Stimme klingt dünn, brüchig vor Angst und Zorn. »Letzte Nacht. Du weißt, was letzte Nacht passiert ist in meinem Haus. Weißt du davon?«
»Ja.«
»Was hatte das zu bedeuten?«
Baz zuckt nicht mit den Wimpern. Es hatte zu bedeuten, dass eine Menge Geld geklaut wurde. Es hatte üble Machenschaften zu bedeuten, zwei Ratten, die mit dem Auto getürmt sind, und Demi in den Händen der Polizei. Das hatte es zu bedeuten. Es hatte zu bedeuten, dass Demi angeschossen wurde. Dass Demi ins Schloss geschleppt wurde und Baz sich verstecken musste, ohne ihm zu helfen, weil es nichts gab, was sie hätte tun können. Es hatte zu bedeuten, dass sie erlebt hat, wie Fay aus ihrer Große-Schwester-Haut geschlüpft und zu dieser anderen Person geworden ist, einer Person, der Demi egal zu sein scheint, der alles egal ist außer sie selbst.
Und vielleicht hatte es noch mehr als all das zu bedeuten. Vielleicht gehörte es zu Eduardos Plan, Demi loszuwerden. Warum nicht? Und auch Baz loszuwerden, warum nicht? Will er nicht Fay ganz für sich haben, die Mutter, die ihn weggegeben hat? Und will nicht auch sie ihn ganz für sich?
Die magere Hand der Frau legt sich plötzlich wie eine Klaue um Baz’ Handgelenk, die Fingernägel graben sich in ihre Haut. »Sag es mir. Was hatte das zu bedeuten? Für wen arbeitest du? Bist du eine Botin von einem der ... Geschäftspartner meines Mannes? Geht es irgendwie um meine Familie?«
»Es hat ’ne Menge für Sie zu bedeuten, Señora Dolucca, falls Sie Ihrn Sohn verliern oder vielleicht Ihre Tochter. Das würd Ihnen wehtun, viel mehr, als Sie meiner Hand jetzt wehtun.«
Sie zieht die Hand weg, als hätte sie sich plötzlich an Baz’ Haut verbrannt. »Was willst du von mir?«
Baz blinzelt. Sie hält sich straff wie eine Trommel. Sie sagt die richtigen Worte zu dieser Frau. Sie hat das Gefühl, sie würde gegen eine Tür drücken und diese Tür würde Stück für Stück nachgeben. »Ein Junge ist letzte
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