Diebe
Nacht angeschossen worden, direkt vor Ihrm Haus. Hat’n Schuss abgekriegt, wurde ins Schloss geschafft. Der Junge ist nicht viel älter als ich.« Sie macht ihre Stimme kalt und hart wie ein Messer. »Verstehn Sie, was ich sage?«
»Du glaubst, dass ich dir helfen kann!«
»Sie ... Ihr Mann. Ja. Sie können mir helfen.«
»Mein Mann!« Sie lacht bitter.
»Okay, Sie dann eben. Sie können diesen Jungen aus dem Schloss rausbekommen.« Sie holt Luft. »Stelln Sie sich vor, Ihrn Kindern würde so was passiern. Wie Sie sich dann fühln würden.«
»Meine Kinder verstoßen nicht gegen das Gesetz.«
»Es kann immer irgendwas Schlimmes passiern«, sagt Baz verdrossen und denkt an Raoul, an Demi.
Vielleicht hört Señora Dolucca etwas anderes aus Baz’ schlichter Feststellung heraus. »Und wenn ich nicht helfen kann?«, sagt sie.
Nicht, wenn ich nicht will, sondern wenn ich nicht kann. Die Tür ist wieder ein Stück weiter offen. Nur noch ein kleiner Schubser, und die Frau wird tun, worum sie sie bittet. »Wissen Sie, wie der Dieb letzte Nacht in Ihr Haus gekommen ist?«
Señora Dolucca zieht an ihrer Zigarette. Sie antwortet nicht.
»Sie ham ein großes, starkes Tor. Sie ham ’ne dicke hohe Mauer. Sie ham ’ne Alarmanlage. Sie ham ’n großen Polizei-Captain als Mann. Sie glauben, dass Sie sicher sind? Niemand ist je sicher. Der Dieb kommt rein, ganz leicht. Der Dieb kommt überall rein, wo er will. Weil’s immer jemand gibt, der dem Dieb sagt, wie.«
Die Frau zuckt zusammen. »Wer?«
Baz schüttelt den Kopf. »Kommen Sie mit mir mit. Kommen Sie. Lassen Sie den Jungen frei und keiner kommt Ihrm Haus mehr nah. Keiner kommt Ihrn Kindern mehr nah.«
»Hältst du mich für vollkommen blöd? Wie kann ich mich auf das verlassen, was du sagst? Du! Ein Kind!« Sie drückt ihre Zigarette aus.
Baz greift in ihre Tasche. Es geht um alles. Sie zieht den Ring hervor und legt ihn auf den Tisch. »Das ist mein Pfand.« Sie lässt einen Finger auf dem Ring liegen. »Reden wir über die Gegenleistung. Helfen Sie mir, meinen Bruder zurückzukriegen?«
Die Frau ist fast reglos. Ganz langsam nimmt sie ihre dunkle Brille ab. Ihre Augen, so ist jetzt zu sehen, haben rote Ränder, die Haut um das linke Auge ist verfärbt, etwas gelblich, ein ehemals blauer Fleck. »Wo hast du das her?« Sie hält inne. »Der Junge? Ist das derselbe Junge, der mich bestohlen hat?« Plötzlich lacht sie und schüttelt den Kopf. »Und er ist dein Bruder?« Sie mustert Baz, als würde sie sie erst jetzt so richtig wahrnehmen. »Ich erinnere mich an ihn, diesen Jungen. Er ist dir nicht so besonders ähnlich. Du kommst vom Land. Warum ist er dir so wichtig? Hat dir jemand aufgetragen, dass du das hier tun sollst? Jemand Älteres? Deine Mutter vielleicht? Seine Mutter?« Baz antwortet nicht. »Nein. Du hast keine Familie, nicht wahr? Außer ihm.« Sie nimmt den Ring in die Hand. »Und den würdest du mir wiedergeben? Ich könnte ihn mir jetzt einfach nehmen. Ich könnte um Hilfe rufen. Könnte sagen, dass du ihn mir stehlen wolltest. Das alles könnte ich tun, und was könntest du dann tun?«
Baz sieht den Ring nicht an. Sie sieht nur Señora Dolucca an, blickt ihr in die Augen.
Nach einer Weile schiebt die Frau des Polizei-Captain den Ring sanft zu Baz zurück. »Bewahr ihn sicher auf. Ich werde mit dir zum Schloss gehen. Ich möchte diesen Jungen wiedersehen. Vielleicht können wir etwas tun.« Sie setzt ihre Brille wieder auf und hebt die Hand. Der Kellner ist zur Stelle und sie bezahlt die Rechnung. Baz steckt den Ring zurück in ihre Tasche. »Der Ring«, sagt Señora Dolucca, während sie vom Tisch aufsteht, »ist das die wertvolle Sache?«
Baz schüttelt den Kopf. »Nein.« Sie hatte geglaubt, die Señora wäre eine dumme Person, eine verwöhnte reiche Frau, eine Frau, mit der man einen Handel abschließen kann, ohne etwas für sie zu empfinden. Das ist jetzt anders, nachdem sie sich bereit erklärt hat zu helfen, nachdem Baz den gelben Bluterguss an ihrem Auge gesehen hat.
»Das habe ich mir gedacht. Es ist etwas, das du weißt, etwas, das du mir erzählen kannst.«
»Es ist nichts Gutes«, sagt Baz.
»Nein, damit habe ich auch nicht gerechnet. Sagst du immer die Wahrheit?«
Baz denkt kurz nach. »Immer.«
»Na gut. Dann sag mir: Wenn ich von dieser Sache weiß, die du mir mitteilen kannst, wird dann meine Familie sicher sein, dadurch, dass ich es weiß?«
»Vielleicht.«
Señora Dolucca zeigt ein trockenes Lächeln. »Du bist ein
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