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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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unterstreicht sorgfältig den Namen, den Baz ihm genannt hat, als könne er dadurch vielleicht den Jungen herbeizaubern. Dann blättert er in den letzten zwei, drei Seiten seines Hauptbuches.
    »Haben Sie keinen Computer? Das ist hier das Polizeihauptquartier und Sie benutzen noch immer Bleistift und Kugelschreiber? Kein Wunder, dass wir Probleme in dieser Stadt haben.«
    »Wir haben Computer«, sagt der Mann, »aber nicht am Empfang, nicht für solche Sachen.« Er deutet auf die Warteschlange. »Das ist nicht nötig.«
    »Und für Festnahmen? Wenn ein Kind hier in Gewahrsam genommen wird? Ist es Ihrer Ansicht nach nicht nötig? Und wenn dieses Kind eine Schussverletzung hat, finden Sie es auch nicht nötig?«
    »Señora, bitte. Meine Aufgabe ist das hier. Für andere Dinge bin ich nicht zuständig.«
    »Das merke ich«, sagt Señora Dolucca kurz angebunden. »Nun denn? Haben Sie etwas gefunden?«
    Er schüttelt den Kopf. »Einen Moment, bitte.« Er greift zum Telefon und drückt zwei Nummerntasten. Dann dreht er sich mit seinem Stuhl zur Seite und spricht so leise, dass Baz nur vereinzelte Satzfetzen hören kann.
    Señora Dolucca sitzt steif auf ihrem Stuhl, die Hände auf ihre Tasche gelegt. Baz weiß, was mit ihr los ist: Dies ist nicht ihre Welt. Wenn sie etwas möchte, wird es für sie erledigt. Welche Probleme sie auch haben mag in ihrem Leben, sie sind nicht dieser Art, haben nichts mit Schlangestehen, Warten und dem Verkehr mit Beamten zu tun.
    Der Mann legt den Hörer auf. »Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Señora. Es ist nichts gemeldet.« Er hebt eine Hand, wie um einem weiteren eisigen Ausbruch zuvorzukommen. »Das kann vorkommen. Ein Vorfall folgt auf den nächsten und da wird der eine oder andere schon mal vergessen oder geht unter. Das ist die menschliche Natur. Die Streifenbeamten sind müde. Natürlich ist es nicht recht, aber es passiert.«
    »Und ein Junge, der angeschossen wurde, wird auch vergessen?«
    Baz erinnert sich an den Jungen vom Norte-Bahnhof, den Jungen, der weglaufen wollte. Einer wie Demi.
    Dem Mann ist äußerst unwohl in seiner Haut. »Sie können’s im Leichenschauhaus probieren, Señora. Oder vielleicht, das ist möglich, wenn die Verletzung nicht so schlimm war, hat man ihn ins Krankenhaus gebracht.«
    »Welches wäre das?«
    »Moment, bitte.« Er greift erneut zum Telefon, wählt eine Nummer, versucht es dann mit einer anderen. »Das Krankenhaus Santa Lucía. Dort wurde letzte Nacht ein Junge eingeliefert. Vielleicht ist es der, nach dem Sie suchen. Man hat bisher noch keinen Namen.«
    »Ist das das Militärkrankenhaus?«
    »Ja, alle Truppengattungen. Es hat einen Sicherheitsflügel. Dort wird der Junge vermutlich sein.« Er steht auf.
    »Danke.« Señora Dolucca erhebt sich ebenfalls und zögert dann. »Sie meinen nicht, dass er hier irgendwo sein könnte? Ich glaube, es sind viele Leute hier in Gewahrsam.«
    Das Gesicht des Mannes ist ausdruckslos. »Wir haben hier keine medizinische Versorgung. Ein Inhaftierter, der ärztliche Behandlung braucht, würde woandershin gebracht.«
    Baz wendet sich ab. Falls Demi im Schloss ist, stirbt er gerade in irgendeiner Zelle. Und was soll sie da tun, was kann sie jetzt noch mehr tun? Sie kann nicht durch diese Halle rennen, sich an Polizisten vorbeidrängen, gegen Türen hämmern. Sie kann weiter nichts tun, als die Frau des Captain zu benutzen, um Fragen zu stellen und sich umzugucken.
    »Ja«, sagt Señora Dolucca. »Wir werden’s im Krankenhaus versuchen.«
    »Vielleicht kann ich einen Wagen besorgen, der Sie hinfährt ...«
    »Nein, ich glaube nicht.« Sie öffnet ihre Handtasche. »Wie ich höre, gibt es wohltätige Zwecke, für die ich hier eine kleine Spende leisten kann. Sie waren uns eine Hilfe.«
    »Selbstverständlich, Señora.«
    Sie legt zwei gefaltete Geldscheine ins Hauptbuch. »Dies war ein privater Besuch, verstehen Sie. Sie brauchen ihn nicht in Ihrem Buch aufzuführen.«
    »Das ist ganz und gar nicht erforderlich.« Er schiebt die Geldscheine in seine Tasche, und dann, sobald Señora Dolucca und Baz auf dem Weg zum Ausgang sind, winkt er dem nächsten Wartenden, an den Schalter zu treten.
    Draußen auf dem Gehsteig wühlt Señora Dolucca in ihrer Handtasche nach Zigaretten, klopft sich eine aus der Packung, zündet sie an und nimmt einen tiefen Zug. »Was für ein Ort ...«, sagt sie mehr zu sich selbst als zu Baz und schüttelt sich. Nachdem sie einen zweiten Zug genommen hat, lässt sie die

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