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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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erschießen!«
    »Nein!« Mit der Anmut einer auf Spitzen tanzenden Ballerina wirbelte sie herum. »Keine Schießerei!«
    *Sie drehte sich wieder zu Rafe zurück. Da sie nun näher bei ihm stand, konnte er einen noch besseren Blick von ihr erhaschen. Ein paar Sekunden lang wurden ihre Augen durch das warme Licht erleuchtet - Augen, so blau wie Vergissmeinnicht.
    Sie war also nicht durch und durch kalt. Nicht durch und durch schlecht.
    »Ein bisschen schneller, Sir, sonst ändere ich noch meine Meinung, was das Schießen angeht.« Ihre Worte klangen beinahe wie eine Bitte.
    Obwohl gärender Hass sein Blut erhitzte, gehorchte Rafe. Zuerst reichte er seine Weste, dann sein Hemd aus fein gesponnenem Leinen und sein Unterhemd hinüber.
    Sie genierte sich überhaupt nicht, ihn dabei in der vollen Beleuchtung stehen zu lassen.
    »Wer hätte das gedacht? Er hat Muskeln so hart wie Salzsäcke«, sagte der Mann oben auf der Kutsche.
    Ihr Blick wanderte fast widerwillig über Rafes Oberkörper. »Nun verstehe ich, warum Mrs. Astor so begeistert von Ihnen ist. Rasch, Mr. Belloch, Stiefel und Hose.«
    Die Stiefel auszuziehen war ein Kampf. Er kam ins Schwanken und fiel beinahe hin, als er sich aus ihnen herauswand. Der Dieb, der mit der Pistole herumfuchtelte, schnappte sie ihm aus den Händen. »Wir sind zwar nicht gut genug, solche Stiefel zu tragen, aber bei der heiligen Barbara, wir sind gut genug, sie zu stehlen.«
    Als er sich auch seiner Hose entledigt hatte, fragte Rafe dreist: »Die Unterwäsche ebenfalls?«
    Trotz seiner wütenden Verachtung überrumpelte ihn ihre unverblümte Antwort.
    »Natürlich!«, befahl sie ihm. »Der Auftakt war in der Tat schon sehr erfreulich. Enttäuschen Sie mich nun nicht.«
    Ihr zynisches Lächeln versetzte ihn erneut in Wut.
    Er zögerte.
    »Genug jetzt!«, protestierte ihr Gefährte auf dem Kutschbock und sprang hinunter. »Lass ihm gefälligst seine verdammte Unterwäsche, du kleine Dime. Ich hab keine Lust, nach Blackwells geschickt zu werden, nur damit du diesen Snob begaffen kannst. Wir machen uns lieber aus dem Staub.«
    Die beiden Männer zogen sie mit sich wie einen Straßenlümmel. Im Grunde war sie das ja auch. Rafe beobachtete sie, als ihre sanft geformten Lippen sich zu einem erneuten Lächeln rundeten. Sie lachte ganz unumwunden über ihren Spaß.
    Selbst als das Räubertrio schon tief in der finsteren Gasse verschwunden war, rief ihre spöttische Stimme noch aus: »Ich werde wohl nie aufhören, es mir vorzustellen, Mr. Bel- loch!«
    Weder sein Zorn noch seine Beschämung ließen nach. Sie hatte soeben den Fehdehandschuh hingeworfen, und sein Wille ballte sich plötzlich wie zu einer Faust zusammen.
    »Nur zu, stell es dir ruhig vor, du unverschämtes kleines Frauenzimmer«, murmelte er zu sich selbst.
    Diese Vorstellung sollte ruhig ihren Appetit steigern. Mit Sicherheit hatte sie den seinen gesteigert.
    Denn Rafe schwor bei allen Dingen, die ihm heilig waren, dass, was auch immer sie sich heimlich vorstellte, sie es eines Tages zu sehen bekäme.
     

1
    Juni 1883
     
    »Ladies und Gentlemen«, verkündete Paul Rillieux mit kultivierter, klangvoller Stimme, die nicht den geringsten Hinweis auf sein fortgeschrittenes Alter gab. »In unserer Mitte gibt es einige Menschen, welche die bis dato noch geheimnisumwitterte Gabe besitzen, mit Mächten außerhalb unseres physischen Bereiches Kontakt aufzunehmen. Man bezeichnet sie manchmal als sensitive Menschen. Ich selbst erhebe keinen Anspruch auf einen solchen Titel. Trotzdem beschäftige ich mich nebenbei ein wenig mit den mystischen Künsten. Da Mrs. Astor von meinem Interesse weiß, hat sie mich gebeten, eine kurze Demonstration telepathischen Mentalismus zu geben. Es handelt sich dabei um die gut belegte Fähigkeit, die Gedanken anderer aus dem Äther - dem gasförmigen Element, das unsere Atmosphäre durchdringt - lesen zu können.«
    Auf einem Podium am Ende der Galerie hatte ein Orchester gespielt. Nun jedoch überließen die Musiker ihre Bühne dem wohlhabenden, alten Erfinder, Forscher und angeblichen Hellseher.
    »Wir alle wissen«, fügte Rillieux mit einem süffisanten Lächeln hinzu, »dass eine Bitte von Mrs. Astor die Überzeugungskraft eines Einberufungsbefehls der Regierung besitzt. Hier bin ich also und melde mich gehorsamst zum Dienst.«
    Er verneigte sich in Richtung einer sorgfältig frisierten Matrone, die einen Wasserfall von Diamanten um ihren Hals trug. Sie nickte gnädig, und nach ihrer Erlaubnis, seinem

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