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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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Witz Beifall zollen zu dürfen, erklang verzögertes Gelächter durch die geschmückte Galerie und die umliegenden Gärten.
    Erst ein Jahr zuvor war der erste Distrikt im unteren Manhattan mit Elektrizität aus dem neuen Kraftwerk in der Pearl Street versorgt worden. Inzwischen erstrahlte sogar im Herrenhaus der Maitlands am unteren Ende der Fifth Avenue zuverlässig und ohne zu flackern helles Licht aus fünfflammigen Wandleuchten in Form von Putten aus Messing und Kristall.
    »Da ist einmal der Verstand«, fuhr Rillieux fort, »aber da gibt es außerdem noch die Seele. Nur selten befinden sich die beiden im Einklang. Das Bewusstsein mag zum Beispiel gerade darüber nachdenken, was es zum Dinner geben wird, während die Seele sich heimlich über irgendein nicht eingehaltenes Versprechen oder einen unerfüllten Traum Gedanken macht.«
    Gelassen, selbstsicher und vornehm betrachtete Rillieux die glanzvolle Versammlung vor sich, wobei eine seiner hageren Hände auf seinem Spazierstock aus Peddigrohr liegen blieb. Neben Caroline Schermerhom Astor befanden sich unter seinem Publikum noch Alice Vanderbilt, ein emigrierter französischer Adliger, und zwar der Comte de Chartrain, die Debütantin Antonia Butler, die als Nächste an der Reihe war, ein Vermögen zu erben, das mit dem der Vanderbilts konkurrieren konnte - und natürlich der Gastgeber des Abends, der Immobilienbonze Jared Maitland.
    Mrs. Astors Anwesenheit bewies, dass ihre Exklusivität in letzter Zeit durch die große Anzahl der neuen Millionäre stark gelitten hatte. Vor allem durch diejenigen aus dem Westen, die weniger gute Umgangsformen pflegten, dafür jedoch sehr viel mehr Geld besaßen, als ihr Snobismus es ignorieren konnte. In der Tat war dadurch letztlich eine radikale und neue Ansicht aufgekommen und hatte begonnen, ihre Wurzeln zu schlagen: Wenn man ganz genau wusste, wie viel Geld einem gehörte, so konnte man nicht wirklich reich sein. Die Quantität war dabei, ererbte Qualität zu ersetzen.
    »Irgendjemand unter uns«, verkündete Rillieux abrupt, »träumte erst kürzlich von einem innig geliebten Haustier, das sie vor ein paar Jahren verloren hat. Nun trauert sie wieder im Stillen. Und irgendjemand anderer versucht krampfhaft, sich durch den Glanz dieses Abends beeindrucken zu lassen, in Wahrheit jedoch beschäftigt er sich mit so profanen Gedanken wie dem Kauf erstklassiger Immobilien auf der... ja genau, auf der 54. Straße West.«
    Aufgeregtes Gemurmel brach unter den Frauen aus, die in der Nähe des Podiums standen.
    »Ja natürlich, Thelma sagt, dass sie erst vor zwei Nächten von ihrem schottischen Terrier Jip geträumt hat!«, rief Lydia Hotchkiss aus, die in hellgrünem Satin glänzte. »Und dies ist das erste Mal, dass sie es erwähnt hat.«
    Eine männliche Stimme schaltete sich ein. »Ich war mir nicht bewusst, tatsächlich darüber nachgedacht zu haben, ich gebe jedoch zu, vor kurzem in Erwägung gezogen zu haben, etwas Land auf der 54. Straße West zu kaufen.«
    Bei dem Sprecher handelte es sich um den Anwalt Albert Gage, dessen Wall-Street-Firma die Hälfte aller Neureichen der Stadt vertrat, ebenso wie viele aus der alten Aristokratie.
    »Sie dachten auch nicht bewusst darüber nach, verehrter Mr. Gage«, korrigierte Rillieux ihn.
    Einen Moment lang verweilte Rillieux’ Blick auf einer zierlichen jungen Frau, die allein auf einer gusseisernen Bank saß und ihm sittsam zuhörte. Er nickte kaum erkennbar, und eine Minute später fing sie an, langsam zwischen den zerstreuten Gästen umherzuwandem.
    »Hier ist noch etwas!«, rief Rillieux aus, wobei sein zerfurchtes Gesicht die Aufmerksamkeit eines jeden außer der jungen Dame erregte, die nun wie ein Puma auf der Pirsch durch die Menge lief. »Irgendjemand unter uns ist äußerst erbost wegen ...«, er strahlte ein künstliches Lächeln aus, »ja genau, wegen eines emporgekommenen Reporters des New York Herald ...«
     
    Nach etwa zwanzig Minuten endete Paul Rillieux’ eindrucksvolle Demonstration mit begeistertem Applaus.
    Selbst diejenigen, die nicht überzeugt waren, sagte Mystere sich, sahen zumindest äußerst amüsiert aus. Wenn Mrs. Astor sich für einen einsetzte, konnte man sich seiner Beliebtheit gewiss sein. Diese war jedoch genauso schnell wieder zunichte gemacht, wenn man es sich mit ihr verscherzte.
    Mystere trug ein Glas Limonade und einen schmalen Fächer aus weißer Seide in ihren Händen, als sie sich langsam auf den Weg zurück zur schmiedeeisernen Bank machte,

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