Diener des Boesen
habe mich im Ton vergriffen.«
Courtenay blickte ihn an und lächelte dann. »Euch lastet viel auf der Seele, Herr.«
Neville lächelte reumütig zurück. »Und du bist ein wahrer Diplomat. Ich werde mir von jetzt an Mühe geben, mein Temperament im Zaum zu halten, Robert, denn an dir sollte ich wahrhaftig nicht meine Wut auslassen.«
Der Einzige, auf den ich wütend sein sollte, dachte Neville, als er das Wirtshaus betrat, bin ich selbst.
Aber, gütiger Himmel, was soll ich nur gegen meine Ängste tun?
In dieser Nacht, als Neville wach in dem Schlafsaal lag, den er sich mit mehreren Gefolgsleuten Lancasters teilte, und in Gedanken mit sich haderte, überkam ihn plötzlich eine seltsame Ruhe.
Einen Moment lang glaubte er, er sei, ohne es zu bemerken, eingeschlafen und würde träumen, doch dann wurde ihm klar, dass es kein Traum war. Er hatte das Gefühl, als habe eine unbekannte Macht ihn in eine andere Welt versetzt.
Seltsamerweise verspürte er jedoch weder Furcht noch Erstaunen.
Er war nur etwas überrascht von dem Gefühl der Wirklichkeit, das er hatte, als er plötzlich festen Boden unter den Füßen spürte, und blickte sich um. Er stand auf einem Hügel, über den ein sanfter Wind hinwegstrich, der einen angenehmen Duft mit sich führte, doch am Himmel über ihm ballten sich dichte Wolken zusammen. In der Ferne konnte er die fahlen Steinmauern einer Stadt erkennen, von deren Toren eine Straße bis zu dem Hügel führte, auf dem er sich befand. Die Straße war voller Menschen.
Neville wandte den Blick von der Stadt ab und richtete ihn auf seine unmittelbare Umgebung. Neben ihm war ein Kreuz errichtet.
An seinem Fuß kauerte eine Frau, weinte leise und wischte sich in ihrer Trauer Erde auf Gesicht und Hals, die mit Blut getränkt war. Sie war jung und hatte dunkles Haar, und obwohl sie auf den Knien kauerte, konnte Neville sehen, dass sie recht stattlich gebaut war. Sie verlagerte ein wenig das Gewicht, sodass sich ihr helles Leinengewand um ihren Leib straffte, und Neville bemerkte, dass sie im fünften oder sechsten Monat schwanger war.
Neville hielt den Atem an, und sein Herz hämmerte in seiner Brust. Einen Moment lang konnte er die weinende Frau am Fuß des Kreuzes nur anstarren, doch dann hob er langsam den Blick.
An dem Kreuz hing ein halbnackter Mann und blickte auf ihn herab. Er war brutal an Hand- und Fußgelenken an das Holz genagelt worden, und auf seiner blutenden Stirn saß eine Dornenkrone. Sein Lendentuch war dunkel von dem Blut, das an seinem Leib hinabgelaufen war.
Doch trotz seiner Qual schenkte der Mann Neville ein solch liebevolles Lächeln, dass diesem der Atem stockte.
Er sank auf die Knie, unfähig, den Blick von dem Mann am Kreuz abzuwenden, worauf die Frau ihm ein wenig Platz machte.
»Thomas«, flüsterte der Heiland und hustete, und einige Blutstropfen rannen aus seinem Mund. »Warum zweifelst du?«
Neville konnte kaum ein Wort herausbringen und wusste nicht, wie er erklären sollte, was ihn so sehr bedrängte. Schließlich sagte er es in ganz einfachen Worten, denn er war sich sicher, dass Jesus bereits wusste, was ihn bewegte. »Ich liebe eine Frau und habe ihr meine Liebe gestanden. Doch zugleich weiß ich, dass die Menschheit verloren ist, wenn ich diese Frau liebe und ihr meine Seele schenke.«
Jesus seufzte und Tränen traten ihm in die Augen, und Neville weinte mit ihm und härmte sich, weil er die Qualen des Heilands noch verschlimmert hatte.
»Thomas«, sagte Jesus schließlich, »opfere ich mich nicht für die Liebe? Gebe ich nicht mein Leben, weil ich die Menschen liebe? Schenke ich dir nicht aus Liebe meine Seele?«
Aus den Augenwinkeln sah Neville, dass die Frau ihn voller Mitgefühl anschaute. Etwas an ihr brachte ihn dazu, sie noch einmal genauer zu betrachten. Ihr Gesicht kam ihm vertraut vor, als würde er sie kennen, doch er irrte sich: Ihr Gesicht war das einer Fremden. Er dachte nicht mehr weiter darüber nach und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Heiland zu.
»Ich habe diese Frau geliebt«, sagte Jesus. »Und jetzt gebe ich mein Leben für sie. Ja, Thomas… Ich habe mich für sie geopfert und ihr meine Seele geschenkt.«
Neville weinte noch stärker, weil er den sterbenden Heiland mit seinen Worten gekränkt hatte.
»Ist meine Liebe etwa ein Fluch für die Menschheit?«, flüsterte Jesus.
»Nein! Nein! Deine Liebe ist die Erlösung!«
»Ja«, flüsterte Jesus. »Ja. Was also muss ich tun, Thomas, damit du meinen
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