Diener des Boesen
Worten Glauben schenkst? Warum erkennst du die Wahrheit nicht? Die Liebe ist nicht Verdammnis… sondern Erlösung. Wie konntest du dich in die Irre führen und dich so sehr in Lügen verstricken lassen?«
Neville weinte und streckte flehentlich die Hände aus, und die Blutstropfen, die am Leib des Heilands hinabliefen, fielen auf seine Handflächen.
Die Liebe ist Erlösung, Thomas. Nicht Verdammnis. Wie konntest du das nur falsch verstehen?
Neville senkte den Kopf. Er war außerstande, den leidenden Christus noch länger anzusehen. Warum hatte er es nur so lange falsch verstanden?
Ein Schluchzen ließ seinen ganzen Körper erbeben, und Neville sank zu Boden, bis er ausgestreckt im Staub des Kalvarienbergs lag, und ließ den Wind des Todes über sich hinwegstreichen, wohl wissend, dass er die Schuld am Leid Christi trug.
So wie er auch die Schuld an Alice’ Leid getragen hatte.
»Die Liebe ist Erlösung«, flüsterte der Heiland, und Neville verlor das Bewusstsein.
Er erwachte mit einem Ruck und begann zu zittern, als er sich an die Vision erinnerte, die ihm zuteil geworden war. Eine Weile lang lag er nur da und starrte die Decke des Schlafsaals an, dann hob er seine zitternden Hände.
Über seine Handflächen zogen sich getrocknete Blutspuren. Er schloss die Augen, ballte die Fäuste und holte tief Luft. Eine herrliche Ruhe überkam ihn, und er atmete erleichtert auf und ließ sich von dem Frieden und der Schönheit der Liebe des Heilands einhüllen.
Wie in seinem Traum traten ihm Tränen in die Augen und liefen ihm an den Wangen hinab.
Wie hatte er sich so täuschen lassen können? Der Heiland hatte aus Liebe zur ganzen Menschheit sein Leben gegeben. Die Liebe war nicht Verdammnis, sondern Erlösung.
Neville atmete die süße Morgenluft ein. Er hatte das Gefühl, dass er sich noch nie so ruhig und sicher gefühlt hatte. Christus hatte ihm in der letzten Nacht die Erlösung geschenkt, sodass er nun lieben konnte, ohne sich schuldig zu fühlen oder sich fürchten zu müssen.
Neville lächelte, und die feinen Linien des Schmerzes und der Sorge, die Jahre des Hasses in sein Gesicht gegraben hatten, verblassten langsam und verschwanden schließlich vollkommen.
Er hatte das Richtige getan. Neville dachte über die seltsame Feindschaft nach, die zwischen Margaret und dem heiligen Michael bestanden hatte, und einen Moment lang überkamen ihn Zweifel. Wenn es richtig war, Margaret zu lieben, warum brachte der heilige Michael ihr dann so viel Verachtung entgegen? Doch dann erinnerte sich Neville wieder an den Heiland, der ihm erschienen war, an seine Stärke und seine Liebe. Und diese Vision war so stark gewesen, dass die Feindschaft zwischen Margaret und dem Erzengel dagegen ein Nichts war. Christus’ Segen war alles, was zählte, und wenn der Heiland selbst seine Liebe zu Margaret guthieß, dann brauchte Neville keine höhere Macht mehr, um zu wissen, dass er das Richtige getan hatte. Außerdem, hatte Margaret nicht gesagt, dass im Himmel Uneinigkeit herrschte? Vielleicht war ja sogar der heilige Michael getäuscht worden. Es war weithin bekannt, dass auch die Engel manchmal Fehler machten… War nicht Satan ein gefallener Engel? Der Heiland war Neville erschienen und hatte ihm den rechten Pfad gewiesen, und Neville war mit jeder Faser seines Wesens davon überzeugt, dass der Heiland niemals getäuscht oder in die Irre geführt werden konnte.
Auch wenn es Neville noch nicht recht bewusst war, war seiner einstigen Ergebenheit gegenüber dem heiligen Michael der letzte, entscheidende Schlag versetzt worden. Nevilles Vertrauen gegenüber dem Erzengel hatte bereits bei seinem Erscheinen in jener Nacht, als Margaret geschändet worden war, Risse bekommen, als Neville von Schmerz und Schuldgefühlen erfüllt gewesen war und ihn die Worte des Heiligen entsetzt hatten, der ihn für seine Taten gelobt hatte. Erfüllt von der Erinnerung an die Liebe des Heilands löste sich ein Gutteil des alten, kaltherzigen Neville von ihm und die Botschaft der Hoffnung zog in sein Herz ein.
Die Liebe ist Erlösung, nicht Verdammnis.
Er seufzte glücklich und lächelte und war immer noch in Träumereien versunken, als Courtenay kam, um ihn zu wecken.
Am frühen Abend des zweiten Sonntags nach dem Dreikönigsfest legten sie mit dem Boot am Savoy Palace an. Die Pferde und ein Großteil ihres Gepäcks würden zwar erst zwei Tage später eintreffen, doch Lancaster hatte entschieden, dass es schneller und auch sicherer wäre,
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