Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
erfuhr, daß er an einer tödlichen Krankheit litt, verlor er das Interesse am Konsum.
Deshalb war der Fernsehapparat immer noch der alte, das Auto, das Charlotte fuhr, war immer noch dasselbe, das Geschirr und das Besteck und die Handtücher – alle diese Dinge waren dieselben. Und dennoch hatte das Haus sich so drastisch verändert. Es hatte sich mit Liebe, Unterricht und Kommunikation gefüllt. Es hatte sich mit Familie, Freundschaft, Ehrlichkeit und Tränen gefüllt. Es hatte sich mit Kollegen, Studenten, Meditationslehrern, Therapeuten und Krankenschwestern gefüllt. Es war, auf eine sehr reale Weise, reich geworden, obwohl Morries Bankkonto sich rasch leerte.
»In diesem Land herrscht eine große Verwirrung darüber, was wir wollen, im Gegensatz zu dem, was wir brauchen«, sagte Morrie. »Du brauchst Nahrungsmittel, um zu essen, du möchtest einen Schokoladeneisbecher mit Früchten. Du mußt dir selbst gegenüber ehrlich sein. Du brauchst den neuesten Sportwagen nicht, du brauchst das größte Haus nicht.
Die Wahrheit ist: Du ziehst aus jenen Dingen keine Befriedigung. Weißt du, was dich wirklich befriedigt?«
»Was?«
»Anderen das anzubieten, was du zu geben hast.«
»Du klingst wie ein Pfadfinder.«
»Ich meine nicht Geld, Mitch. Ich meine deine Zeit. Deine Fürsorge. Dein Geschichtenerzählen. Es ist nicht so schwierig. Hier in der Nähe wurde ein Seniorenzentrum eröffnet. Dutzende älterer Menschen gehen jeden Tag dorthin. Wenn du ein junger Mann oder eine junge Frau bist und ein besonderes Talent hast, dann bist du herzlich eingeladen, ebenfalls dorthin zu gehen und die alten Leute zu unterrichten. Sagen wir mal, du verstehst was von Computern. Du gehst hin und bringst ihnen bei, wie man mit Computern umgeht. Du bist dort sehr willkommen. Und sie sind sehr dankbar. So findest du allmählich zu einer immer größeren Selbstachtung: indem du etwas anbietest, was du hast.
Es gibt viele Orte, wo du das tun kannst. Du brauchst kein großes Talent zu haben. Es gibt einsame Menschen in Krankenhäusern und in Obdachlosenheimen, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein wenig Gesellschaft. Du spielst mit einem einsamen alten Mann Karten, und du findest zu einer neuen Selbstachtung, weil du gebraucht wirst.
Erinnerst du dich daran, was ich darüber sagte, einen Sinn im Leben zu finden? Ich hab’s aufgeschrieben, aber mittlerweile kann ich es auswendig: Widme dich liebevoll anderen Menschen, widme dich der Gemeinschaft, die dich umgibt, und bemühe dich, etwas zu schaffen, das deinem Leben Sinn und Bedeutung verleiht.
Wie du siehst«, fügte er grinsend hinzu, »ist an keiner Stelle von einem Gehalt die Rede.«
Ich notierte mir ein paar der Dinge, die Morrie sagte, auf
einem Notizblock. Ich tat das vor allem deshalb, weil ich nicht wollte, daß er meine Augen sah und sofort wußte, was ich dachte: daß ich seit meinem Collegeabschluß die meiste Zeit meines Lebens nach genau jenen Dingen gestrebt hatte, gegen die er wetterte – größere Spielzeuge, ein schöneres Haus. Weil ich mit reichen und berühmten Sportlern zusammen war, redete ich mir ein, daß meine Bedürfnisse realistisch wären, daß meine Gier, im Vergleich zu ihrer, belanglos sei.
Dies war Selbstbetrug. Morrie machte das unmißverständlich deutlich.
»Mitch, wenn du versuchst anzugeben, um die Leute an der Spitze zu beeindrucken, dann vergiß es. Sie werden sowieso auf dich herabschauen. Und wenn du versuchst, die Leute, die unter dir stehen, zu beeindrucken, dann vergiß es. Sie werden dich nur beneiden. Gesellschaftlicher Status wird dich nicht weiterbringen. Nur ein offenes Herz wird es dir ermöglichen, wirklich Kontakt zu anderen Menschen zu finden.«
Er schwieg einen Moment und schaute mich dann an. »Ich sterbe, ja?«
»Ja.«
»Warum, glaubst du, ist es so wichtig für mich, mir die Probleme von anderen Leuten anzuhören? Habe ich nicht selbst genug Schmerz und Kummer?
Natürlich habe ich das. Aber anderen Menschen etwas zu geben vermittelt mir ein Gefühl von Lebendigkeit. Nicht
mein Auto oder mein Haus. Nicht, wie ich im Spiegel aussehe. Wenn ich jemandem meine Zeit schenke, wenn ich jemanden zum Lächeln bringen kann, nachdem er traurig war, dann fühle ich mich fast so gesund wie früher.
Tu die Dinge, die aus dem Herzen kommen. Wenn du das beherzigst, dann wirst du nicht unzufrieden, dann wirst du nicht neidisch sein, dann wirst du dich nicht nach Dingen sehnen, die jemand anders besitzt. Im Gegenteil, dann
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