Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)
auch nicht.«
»Gibt es irgendeine Regel, um zu wissen, ob eine Ehe funktionieren wird?«
Morrie lächelte. »Die Dinge sind nicht so einfach, Mitch.«
»Ich weiß.«
»Freilich«, sagte er, »gibt es für die Liebe und die Ehe ein
paar Regeln, von denen ich weiß, daß sie wahr sind. Wenn du den anderen nicht respektierst, dann wirst du eine Menge Probleme haben. Wenn du nicht weißt, wie man Kompromisse schließt, dann wird es schwierig werden. Wenn du nicht offen darüber reden kannst, was zwischen euch abläuft, dann wirst du ebenfalls große Schwierigkeiten bekommen. Und wenn ihr im Leben nicht bestimmte gemeinsame Werte habt, dann werdet ihr beide jede Menge Probleme haben. Eure Werte müssen ähnlich sein.«
»Und welches ist der wichtigste jener Werte, Mitch?«
»Euer Glaube an die Wichtigkeit eurer Ehe.«
Er schniefte und schloß dann einen Moment die Augen.
»Ich persönlich«, sagte er seufzend mit noch immer geschlossenen Augen, »glaube, daß es sehr wichtig ist zu heiraten, und daß du sehr viel verpaßt, wenn du es nicht versuchst.«
Er beendete das Thema, indem er die Gedichtzeile zitierte, an die er wie an ein Gebet glaubte: »Liebt einander oder geht zugrunde.«
»Okay. Ich habe eine Frage«, sage ich zu Morrie. Seine knochigen Finger halten seine Brille an seiner Brust fest, die sich mit jedem mühseligen Atemzug hebt und senkt.
»Wie lautet die Frage?« sagt er.
»Erinnerst du dich an das Buch Hiob?«
»Aus der Bibel?«
»Genau. Hiob ist ein guter Mann, aber Gott läßt ihn leiden, um seinen Glauben zu testen.«
»Ich erinnere mich.«
»Er nimmt ihm alles weg, was er hat, sein Haus, sein Geld, seine Familie …«
»Seine Gesundheit.«
»Schlägt ihn mit Krankheit.«
»Um seinen Glauben zu testen.«
»Genau. Deshalb frage ich mich … – was du darüber denkst.«
Morrie hustet heftig. Seine Hände zittern, als er sie an seine Seiten fallen läßt.
»Ich denke«, sagt er lächelnd, »daß Gott es übertrieben hat.«
Der elfte Dienstag
Wir reden über unsere Kultur
»Klopf fester.«
Ich klopfte auf Morries Rücken.
»Fester.«
Ich klopfte noch einmal.
»In der Nähe seiner Schultern … jetzt ein bißchen weiter unten.«
Morrie, der nur eine Pyjamahose anhatte, lag auf der Seite im Bett, mit offenem Mund, den Kopf auf einem flachen Kissen. Die Physiotherapeutin zeigte mir, wie man das Gift in seinen Lungen locker klopfte – was er jetzt regelmäßig brauchte, damit es sich nicht verfestigte und er weiterhin atmen konnte.
»Ich … hab’ immer gewußt, … daß du mich … schlagen wolltest«, keuchte Morrie.
»Ja«, sagte ich im Scherz, als ich mit der Faust gegen die alabasterfarbene Haut seines Rückens schlug. »Dies ist für das B, das du mir damals im ersten Studienjahr verpaßt hast! Klopf! «
Wir alle lachten, es war Galgenhumor. Die Szene hätte durchaus amüsant sein können, war aber in dieser Situation eher makaber. Morries Krankheit war jetzt gefährlich nahe an seinen Schwachpunkt, seine Lunge, vorgedrungen. Er hatte vorausgesagt, daß er durch Ersticken sterben würde, und ich konnte mir keine schrecklichere Todesart vorstellen. Manchmal schloß er die Augen und versuchte, die Luft tief in seinen Mund und seine Nasenlöcher zu saugen, und es sah aus, als versuchte er, einen Anker zu heben.
Draußen herrschte Anorakwetter. Es war Anfang Oktober, die Blätter lagen in großen, zusammengeklumpten Haufen auf den Rasenflächen herum. Morries Physiotherapeutin war vor mir gekommen, und normalerweise entschuldigte ich mich diskret, wenn Krankenschwestern oder Ärzte sich mit ihm befaßten. Aber während die Wochen verstrichen und unsere Zeit auslief, waren mir diese körperlichen Dinge immer weniger peinlich. Ich wollte bei ihm sein. Ich wollte alles beobachten. Dies war ganz und gar nicht typisch für mich, aber schließlich waren auch viele andere Dinge nicht typisch für mich, die in diesen letzten Monaten in Morries Haus geschehen waren.
Also sah ich zu, wie die Therapeutin Morrie im Bett bearbeitete, ihm auf den Rücken klopfte und fragte, ob er fühlen könne, wie der Schleim sich in ihm löste. Und als sie eine Pause machte, fragte sie, ob ich es auch einmal versuchen wolle. Morrie, das Gesicht auf dem Kissen, lächelte ein wenig.
»Nicht zu fest«, sagte er. »Ich bin ein alter Mann.«
Ich trommelte auf seinen Rücken und seine Seiten, bewegte meine Hände so, wie die Therapeutin es mir zeigte. Ich haßte die Vorstellung, daß
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