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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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drüben. Der führt die alte Dame an der Nase rum.«
    »Glauben Sie wirklich, gnädiger Herr?«
    »Na, ist doch klar! Der hat noch nie arbeiten gemocht! Ich hab doch einen von Pinkertons Leuten ein paar Wochen hinter ihm gehabt, drei Tage da, eine Woche hier, nichts richtig angefangen, und nun will er sich wieder bei uns vollfressen, der Nichtstuer! Na, wir werden ihn schon kriegen, was, wir werden ihn zwiebeln, wie, Berthachen, Mädchen?«
    »Gewiss, das können Sie, gnädiger Herr!«
    »Und ob ich das kann! Ich werd Mutter schon zeigen, wie viel ihr Lieblingsjunge wert ist, der Nichtstuer und Nichtskönner! Da soll ihm alle Anstellerei und Gefühlsduselei nichts helfen!«
    »Wollen Sie nicht hereinkommen, gnädiger Herr? Es ist so kalt hier draußen, und ich habe fast nichts an. Ich mach Ihnen noch was Warmes ...«
    »Ja, du machst mir noch was Warmes, Berthachen! Ich komm jetzt rein. Halt, Berthachen, da war noch was ... Ich hab noch was vergessen ...« Er grübelt, dann fällt es ihm ein: »Die Schlüssel! Die sind mir eben die Treppe runtergefallen, da drüben bei dem Oleander müssen sie liegen.«
    Er dreht sich schwerfällig um.
    »Ich hol sie, gnädiger Herr! Bemühen Sie sich nicht!«, ruft das Mädchen und läuft die Treppe herab.
    Als das Mädchen auf ihn zuläuft, fällt die Erstarrung, die Johannes Wiebe an seinem Platz festhielt, ab. Er hebt die Schlüssel auf – Bertha bleibt erschrocken vor dem dunklen Mann stehen –, wirft sie seinem Bruder vor die Füße und schreit: »Da hast du deine Schlüssel – ich will sie nie haben! Nie! Nie!« Und damit rennt er wie gejagt die Auffahrt hinunter, in den dunklen Garten, immer weiter, auf die Straße hinaus, immer weiter, immer weiter ...
    »Nee, so was!«, sagt der Betrunkene verblüfft zu Bertha. »Hat das Jungchen hier gestanden und sich alles angehört!« Er überlegt sich den Fall und lacht dann: »Auch nicht weiter schlimm! Weiß er wenigstens gleich, was wir von ihm denken!«
    »Wenn er es aber der gnädigen Frau erzählt?«, fragt Bertha etwas ängstlich.
    »Der? Nie! Das hat so sein sollen, Bertha! Das hat geradegepasst! Der kommt nicht wieder! Das hat eigentlich sehr hübsch gepasst! Komm, Bertha, Mädchen, trink einen mit mir. Stoßen wir auf den verlorenen Sohn an!«
Die Stampe
    Er ist in die Nacht hineingelaufen, in die Straßen hinein, vom Vaterhaus fort, die Wangen brennend vor Scham.
    Gewiss, er schämt sich des Bruders, dieses gemeinen, rohen, kalten Rechners. Wenn der Bruder auch betrunken war, als er so sprach, nicht nur die Trunkenheit ließ ihn so schwätzen. Er hatte eine gemeine Seele – es gab nichts Gemeinsames zwischen den Brüdern, es gab nun nicht einmal mehr stille Duldung.
    Aber noch mehr schämte sich Johannes Wiebe seiner selbst. Er schämte sich, dass er im Schatten des Oleanderbusches hatte stehenbleiben müssen, dass er nicht hatte vortreten, nicht hatte sprechen können: »Es ist nicht wahr, was du sagst! Ich bin tüchtig gewesen, ich bin fleißig gewesen – ich habe etwas geleistet. Ich bin etwas geworden. Nicht etwas, was du in Mark und Pfennig ›etwas geworden‹ nennst, aber innerlich bin ich etwas geworden!«
    Nein, er hatte im Dunkeln stehenbleiben müssen, er hat nicht so sprechen können. Es hatte etwas Wahres in des Bruders Worten gelegen. Trotz aller Gemeinheit.
    Wenn aber etwas Wahres in ihnen lag, konnte er nicht zurück. So nicht. Es war unmöglich – auch um der zärtlichsten Mutter der Welt willen nicht –, von der Duldung eines solchen Bruders zu leben, innerlich wissend, er war tüchtig, und man war untüchtig – und diesen Bruder zu dulden. Es war ganz unmöglich, es würde nicht drei Tage gehen.
    ›Arme Mutter! Du wirst auch vergebens auf den nächsten Dampfer warten müssen! Aber schließlich wirst du doch das Warten aufgeben, und wenn du heimkommst, wirst du einen Brief von mir finden, einen Brief mit deinen Schecks und dem übrigen Gelde, dass er meinen Namen wenigstens nicht vor dir beschmutzen kann! Und ich werde mir Arbeit suchen, ganz egal was! Es soll hier ja jetzt überall Arbeit geben. Vielleicht, in Jahren, wenn ich etwas geworden bin, ein richtiger Mensch und Mann, dann kann ich zu Mutter gehen und ohne Neid auf ihn und seine Tüchtigkeit sehen. Ich bin dann auch etwas ...‹
    So rennt er durch die Straßen. Die Gedanken schießen durch seinen Kopf. Er empfindet Ekel, Hass, Liebe, Zorn, Verzweiflung – und so benimmt er sich auch. Er redet mit sich selbst, er bleibt stehen und lacht

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