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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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verächtlich, er schüttelt die Fäuste und schreit: »Nie! Nie!«
    Was an späten Nachtpassanten noch an ihm vorübergeht, sieht ihm kopfschüttelnd nach oder lacht: »Der hat aber eenen Hacken!« oder schilt hinter ihm drein.
    Ein argwöhnischer Schupo peilt dem wilden Wanderer mit seinem Köfferchen eine ganze Weile nach, er ruft: »He, Sie da, bleiben Sie mal stehen! Sie da, mit dem Koffer!«
    Aber der Wilde hört ihn gar nicht, er denkt nicht daran, dass es überhaupt noch andere Menschen als ihn auf der Welt gibt, und plötzlich, zwischen zwei Autos, entwischt er ihm.
    Johannes Wiebe aber läuft immer weiter, so lange, bis die erste fürchterliche Verkrampfung sich in ihm gelöst hat, bis ihn seine versagenden Beine daran erinnern, dass er eben von einer Krankheit genesen ist.
    Plötzlich ist er todesmatt. Er fühlt sich schwach, er möchte sich nur irgendwo hinsetzen, etwas essen, sichausruhen. Aber er steht in einer dunklen Straße, kein Licht brennt mehr hinter den Fenstern, hinter den Scheiben der Läden, und als er auf die Uhr sieht, merkt er, dass es nach drei Uhr morgens ist. Alles geschlossen!
    Langsam schleicht er weiter, sein Köfferchen wird zu einer Zentnerlast. Schließlich entdeckt er einen Schupo und fragt ihn nach einer Wirtschaft, wo er eine Kleinigkeit essen könne.
    »Tjaaa ...«, sagt der Schupo. »Jetzt nach drei ... Sie gehen mal lieber nach Haus, was, junger Mann?«
    »Erst muss ich etwas essen«, beharrt er. Er hat keine Kraft mehr, sich ein Hotel zu suchen, und in einem Hotel kriegt er um diese Zeit auch nichts mehr zu essen.
    »Bisschen gebummelt, was?«, fragt der Schupo ganz teilnehmend. »Sie können in den Wartesaal auf dem Bahnhof Alexanderplatz gehen, aber da sehen sie so ’ne wie Sie um diese Stunde nicht gerne. Wissen Sie was, hier zweimal linksrum, um die Ecke – da kommen Sie zur Zentralmarkthalle, was?«
    »Ja, zweimal links um die Ecke!«
    »Da haben sie jetzt Hochbetrieb, verstehen Sie? Sie sind wohl nicht von hier? Da wird jetzt nämlich der Magen von Berlin versorgt. Das ist für einen Fremden hochinteressant. Da laufen jetzt Wurstmaxes und Brezeljungen genug herum, da haben sie jetzt auch Stampen auf, aber in ’ne Stampe gehen Sie besser nicht mehr. Ich glaube, Sie haben auch so genug. Verstanden?«
    »Jawohl, Herr Wachtmeister!«, antwortet Johannes Wiebe und geht langsam zweimal links um die Ecke.
    Wie er das getan hat, ist es mit dem langsam und achtlos Schlendern vorbei. Berlin wird gefüttert, der Bauch von Berlin wird gestopft! Die Straßen sind voll von Pferdewagenund Lastautos und Dreiradkarren, Sackkarren knallen über das Pflaster, blauhemdige Männer rennen mit Kisten, Schlachter schleppen halbe Schweine, Rinderviertel ...
    Ein tosender Lärm, ein Getriebe, ein geschäftiges Rennen, Hupen und »Achtung«-Geschrei. Johannes Wiebe tut doch, was er nicht tun soll: Er rettet sich vor einem donnernd heranrollenden Gurkenfass in die nächste Stampe.
    Die kleine Kneipe ist drangvoll, sehr rauchig, noch lauter. Da sitzen die Säckeschlepper in ihren blauen Blusen, die Fleischergesellen in blau-weiß gestreiften Jacken, dicke Händler, die mit noch dickeren Geldtaschen hantieren und laut lachend ihre Geschäfte absprechen, neben älteren, entweder sehr rundlichen oder sehr knochigen Frauen – beide Typen aber mit starkem Kinn –, die an der Seite schwarzlederne Geldtaschen haben, die sie an einmal vernickelten, jetzt aber gelb gewetzten Ketten tragen.
    Und all diese – neben den Botenjungen, den Käsefräuleins, den grünblusigen Dienstmännern – reden, lachen, trinken, rauchen, essen Rollmöpse, Bockwürste oder schneiden sich zur Molle (mit oder ohne Korn), zum mitgebrachten Brot vom mitgebrachten Speck einen Streifen ab.
    Einen Augenblick ist Johannes Wiebe vom Lärm und lauen Dunst ganz benommen, hilflos sieht er in den Trubel. Dann entdeckt er in einer Ecke einen fast leeren Tisch, drängt sich zu ihm hin und lässt sich erleichtert aufatmend auf den derben Holzstuhl fallen. Das Köfferchen aber klemmt er gleich zwischen die beiden lang ausgestreckten Beine, damit man es ihm nicht unbemerkt fortnehmen kann – so viel hat der verwöhnte Sohn nun doch in den Staaten gelernt.
    Am Tisch sitzt außer Johannes Wiebe nur noch ein einziger Mann, ein junger Kerl, auch solch Blauhemdiger. Ersitzt da mit aufgekrempelten Ärmeln, die Unterarme tragen schöne blaue Tätowierungen und sind muskulös und sehr behaart. Der Mann hat den Kopf mit der schief sitzenden

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