Diese alte Sehnsucht Roman
konnten. Aber da gab es ein offensichtliches Problem: Wie konnte er das Werk unter seinem Namen veröffentlichen, wenn es doch eigentlich Claudias sein sollte? Er konnte natürlich sagen, dass sie kein Wort davon geschrieben hatte, und jeder, der sie je unterrichtet hatte, würde ihm glauben, doch das bedeutete, dass er ihre Idee gestohlen hatte. Dass es tatsächlich ihre Idee gewesen war, hatten er selbst und zwei Kollegen bestätigt, als sie das Thema zugelassen hatten.
»Mom«, wandte Griffin ein, »das kannst du doch gar nicht wissen. Und erzähl mir nicht, Dad hätte es dir anvertraut. Das sind keine Sachen, die er irgendjemandem anvertrauen würde, am allerwenigsten dir.« Immerhin hatte er die vergangenen vierundzwanzig Stunden mit seinem Vater verbracht, und der hatte nicht die versteckteste Andeutung über all das gemacht.
Eine andere Frau hätte an dem »am allerwenigsten dir« Anstoß genommen, doch seine Mutter verlor kein bisschen an Tempo. »Reg dich ab«, sagte sie schadenfroh, »das Beste kommt ja noch. Claudia erpresst ihn.
Nicht im landläufigen Sinne«, gab sie zu. »Es ist mehr eine emotionale Erpressung.« Seit sie aus Amherst zurück waren, dachte Claudia gelegentlich laut darüber nach, was seine Kollegen wohl sagen würden, wenn sie wüssten, was er getan hatte. Hatte er schon immer solche Betrügereien verübt, oder war das etwas Neues? Ob das wohl ein Grund für eine fristlose Entlassung war? Ein Skandal, der es auf die Titelseite des Chronicle of Higher Education schaffen würde?
»Was für eine absurde Drohung.« Griffin sah sich genötigt, seine Mutter zu unterbrechen. »Sie würde sich ins eigene Fleisch schneiden.«
»Stimmt«, sagte sie. »Aber er hat trotzdem Angst.«
»Den Eindruck hatte ich nicht.«
»Glaub mir.«
»Aber Mom, die Geschichte stimmt hinten und vorne nicht. Diese Story würde jeder Anfängerkurs für Literatur in der Luft zerreißen.« Na gut, vielleicht nicht ganz und gar. Sie war eher bruchstückhaft und widersprüchlich als unglaubwürdig, und Griffin glaubte den Grund dafür zu kennen: Die akademische Welt war überschaubar, und seine Mutter hatte überall Freunde und Freunde von Freunden. Zweifellos hatte sie die Tätigkeit ihres Exmanns an der Universität von Massachusetts mithilfe von einem halben Dutzend Spionen verfolgt oder versucht zu verfolgen. Vermutlich hatte sie aus allen möglichen Quellen winzige Informationsstückchen erhalten und diese dann, so gut es ging, zu einer Geschichte gestrickt, indem sie Schlussfolgerungen zog und wie immer so tat, als wäre sie dabei gewesen.
Und sie war nicht erbaut, dass er das in Zweifel zog. »Anfängerkurs«, schnaubte sie. »Ha. Du legst die Latte ja richtig hoch.«
»Na gut«, gab Griffin zu, »ich sage ja gar nicht, dass an deiner Geschichte nichts dran ist. Ich wollte bloß –«
Sie winkte ab. »Willst du das Beste hören oder nicht?«
»Die Erpressung war demnach nicht das Beste? Was denn noch?«
Sie zog eine sorgsam gezupfte Augenbraue hoch. »Stell dir vor: Die ganze Zeit , die er in Amherst war …«
Er wartete, bis klar war, dass sie ohne ausdrückliche Aufforderung nicht weitersprechen würde. Erst musste aktenkundig sein, dass Griffin wissen wollte, was sie zu erzählen hatte, und leider wollte er das.
»Was, Mom? Was war die ganze Zeit, die er in Amherst war?«
»Die ganze Zeit, die dein Vater in Amherst war«, sagte sie triumphierend, »hat er es kein einziges Mal geschafft, aufs Cape zu fahren. Kein einziges Mal.«
Rückblickend hatte seine Mutter in mindestens einem Punkt recht gehabt: Sie hatte der zweiten Ehe seines Vaters ein Jahr gegeben. Kein Kalenderjahr, betonte sie, sondern ein Studienjahr. Und genau so lange hatte sie dann auch gehalten. Im Mai darauf war Claudia endgültig auf und davon, und kurz darauf verließ Griffins Vater die Universität, um als amtierender Lehrstuhlinhaber zu einer kleinen Abteilung der Universität von Illinois zu wechseln. »Er befindet sich in einer Abwärtsspirale«, berichtete seine Mutter. »Eigentlich kreiselt er schon über dem Abfluss.« Danach wurde er Dekan einer Fakultät an einem kleinen christlichen College in Oklahoma, und das blieb er, bis seine schwache Gesundheit ihn zwang, sich zur Ruhe zu setzen.
Und nun, dachte Griffin wehmütig, befand er sich im Kofferraum von Griffins Wagen.
3
DER GROSSE TRURO-TRAUM
Als Griffin in Provincetown ankam, war es wärmer geworden, und so fuhr er zu einem Café mit Terrasse. Auf dem Weg durch
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