Diese alte Sehnsucht Roman
entzückt. »Bilde ich mir das ein«, sagte Joy nach ihrer zweiten Begegnung, »oder hat er mich wirklich vollkommen vergessen?« Griffin riet ihr, es nicht persönlich zu nehmen. Selbst am Ende des Semesters kenne sein Vater die Namen seiner Studenten nicht, mit Ausnahme von zwei oder drei der hübschesten Mädchen.
Mit seiner Mutter war es ganz anders. Sie war zwar höflich, machte aber nie ein Geheimnis daraus, wie wenig sie von der Wahl ihres Sohnes hielt. »Wo hat sie ihr Hauptstudium gemacht?«, war das Erste, was sie wissen wollte, als Griffin sie anrief, um ihr zu sagen, er habe sich verlobt. Für sie gab es keinen besseren Gradmesser für den persönlichen Wert eines Menschen. Außerdem wurde sie, wenn sie diese Frage stellte, meist ihrerseits gefragt, wo sie denn studiert habe, und dann konnte sie sagen, sie habe in Yale promoviert; wenn man sie nicht fragte, sagte sie es trotzdem. In Joys Fall erwartete sie die UCLA oder Southern Cal. Griffin hatte natürlich gewusst, dass das kommen würde, und sich vor Augen geführt, es gebe keinen Grund, diese Frage unangenehm zu finden, doch sie war es natürlich trotzdem. Er hatte tief Luft geholt und erklärt, Joy habe nach dem Collegeabschluss gleich angefangen zu arbeiten; sie habe einen guten Job, der ihr Spaß mache. »Ja, aber was für eine Person macht einen Collegeabschluss, ohne dann auf die Universität zu gehen?« Seine Mutter hatte das gesagt, als wäre jemand, der kein Hauptstudium absolvierte, vielleicht geschlechtslos oder aber ein Zwitter. In den ersten zehn Jahren der Ehe hatte sich die arme Joy bemüht, ihre Schwiegermutter dazu zu bringen, ihr Urteil zu revidieren, in den darauf folgenden zehn Jahren hatte sie versucht zu ergründen, warum dies nicht geschah, und im dritten Jahrzehnt schließlich tat sie, als wäre es ihr gleichgültig. In letzter Zeit schien sie geneigt, sich eine neue, geheime Telefonnummer zuteilen zu lassen.
In den Flitterwochen machte sie Griffin unabsichtlich ein Kompliment, indem sie ihn fragte, ob er vielleicht adoptiert worden sei.
Damals hatte er weder seinem Vater noch seiner Mutter besonders ähnlich gesehen, doch das hatte sich in den vergangenen zwanzig Jahren geändert. Sein Haar war an denselben Stellen schütter geworden wie bei seinem Vater, und auch seine Nase, die früher schmal und zart gewesen war, dominierte nun sein Gesicht.
Er hielt sich durch Joggen und Tennisspielen einigermaßen in Form und wog nicht viel mehr als bei seiner Hochzeit, aber das Gewicht hatte sich in einem schleichenden Prozess anders verteilt, und seine Brust war inzwischen (wie die seines Vaters) eingefallen, als hätte ihn ein Pferd getreten. Mit Ausnahme des kleinen Muttermals in der Mitte seiner linken Augenbraue betrafen die genetischen Gaben seiner Mutter eher sein Temperament, was deshalb nicht weniger beunruhigend war, und Joy war längst zu dem Schluss gekommen, dass er unmöglich adoptiert sein konnte. »Da spricht deine Mutter«, sagte sie, wenn er, besonders gegenüber einem Mitglied ihrer Familie, unfreundlich oder überheblich war.
»Sie will, dass ich sie besuche«, sagte Griffin jetzt zu ihr.
»Natürlich.«
»Das neue Heim gefällt ihr nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Sie wird ewig leben.«
»Nein, aber sie macht, dass es einem wie eine Ewigkeit erscheint.«
Als er angekommen war, hatte er als Erstes die Herrentoilette aufgesucht und seinen Hemdärmel abgewaschen. Obwohl er gefunden hatte, er habe das gut und gründlich erledigt, glaubte er die Möwenscheiße jetzt wieder riechen zu können. »Als sie mich angerufen hat, bin ich rechts rangefahren, und dann hat mich eine Möwe vollgeschissen.«
Doch Joy hatte bereits das Interesse an diesem Thema verloren, wie so oft genau an dem Punkt, den er für den anschaulichsten und interessantesten der Geschichte hielt. »Hast du deine Tochter schon angerufen?«
Wenn Joy nicht unsere Tochter, sondern deine Tochter sagte, bedeutete das gewöhnlich, dass er ihrer Meinung nach irgendeine bedeutende väterliche Pflicht versäumte. »Nein, aber sie kommt doch erst heute nachmittag, oder?«
»Sie ist schon seit gestern auf dem Cape. Du weißt doch, dass sie eine der Brautjungfern ist.«
Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel es ihm ein. »Ich rufe sie an, wenn ich in der Pension bin«, versprach er.
»Gut. Sie kann ein bisschen Zuspruch gebrauchen.«
»Warum?«
»Sie versteht nicht, warum wir getrennt anreisen. Vielleicht kannst du es ihr erklären, damit sie es mir
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