Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Mondlicht und hält inne, beugt sich vor, um sich zu betrachten.
Ihr Gesicht.
Ziemlich schockiert von den großen, kantigen Zügen, irgendwie fremd, nach so vielen Jahren, die sie nicht in den Spiegel geschaut hat – sie trägt immer nur schnell rosafarbenen Lippenstift auf, wenn sie morgens losgeht, und ihre Haare andrückt, oben, hinten. Wie lang ist es her, seit sie dieses Gesicht genauer angesehen hat, die schroffe Form von Mund und Nase, die helle Haut, immer noch ohne Falten. Die großen Augen sind ihr vertraut – und doch anders. Sie beugt sich noch weiter vor und studiert ihre Augen.
Farbe und Form sind wie bei ihrem Vater (und bei Olu), aber etwas hat sich im Lauf der Jahre verändert. Sie ähneln den Augen ihres Vater mehr, als sie das früher bemerkt hat, oder mehr, als sie ihnen früher geähnelt haben. An ihren Vater denkt Fola immer seltener wenn sie in den Spiegel schaut, hat deshalb kaum je die Gelegenheit, sich an sein Gesicht zu erinnern, es mit ihrem zu vergleichen, wie jetzt gerade. Seine Augen in ihrem Gesicht, wo sonst ihre eigenen waren.
Seine
Augen, mit dem leidvollen Schimmer und mit den Lachfalten, das sanfte Braun, noch sanfter geworden durch Trauer und Schmerz; das sind die Augen, die Fola im Spiegel sieht. Sie kann es kaum glauben, berührt das Glas. Ihres Vaters Augen glitzern in dem Licht, das vom Fenster hinter ihr kommt, funkeln von den aufsteigenden Tränen. Eine Träne läuft über ihre Wange, und Fola berührt sie, so wie man den Finger ausstreckt, wenn es anfängt zu regnen.
Auf Zehenspitzen geht sie vom Bad zurück ins Bett. Sie schlüpft wieder unter die Decke, liegt auf dem Rücken und legt die Hand auf den Bauch, spürt aber keine Bewegung. Sie weint, lautlos, bis der Tag anbricht.
Fünf
Nach dem Frühstück quetschen sie sich alle in Bensons SUV , jeder im Glaskasten seiner stummen Gedanken eingeschlossen, sieben Kästen, verriegelt, schalldicht und bruchsicher. Der achte Mann, der Fahrer, summt, anwesend, allein. Der Tag hat kühl begonnen, trügerisch mild, die Sonne ist noch von Wolken verhüllt, eine dicke blassgraue Schicht, dahinter grelles Licht, eine Bedrohung oder ein Versprechen. Eine leichte Brise raschelt in den Blättern, es ist noch nicht Mittagszeit. In dreißig Minuten etwa werden sich die Wolken teilen, die Blätter werden aufhören zu rascheln, die Luft wird stillstehen; die Sonne wird sich nicht mehr zurückhalten, sondern wird hervorkommen, und es wird schwül und drückend werden, unerträglich heiß. So ist das Wetter in Ghana im Dezember. Den Atem anhalten, bis die Welt ins Trudeln gerät, ein Pfad der Tränen bis Neujahr durch triefende Luftfeuchtigkeit, die schlimmste Hitze, dann die Erholung durch den Regen.
2
Eine Stunde außerhalb der Stadt: der Ozean.
Ohne Vorankündigung, ohne Ambition.
Einfach plötzlich
da
.
Sie sind die frisch geteerte Straße entlanggebrettert bis zur Kreuzung, wo sie dann einen Hügel hinauffahren, eine Straße, die auf beiden Seiten von Wohnhäusern gesäumt ist. Die Hauptstraße vibriert vom Mittagsverkehr, runde Frauen tragen Wasser und Waren auf dem Kopf, dünne Kinder in dunkelbrauner und helloranger Uniform traben zielstrebig die Straße hinunter, um ein
tro-tro,
einen Kleinbus, zu erwischen, der sie zum Mittagessen bringt. Die Männer sind weniger sichtbar. Einige stehen an den Türen, in locker sitzenden, verwaschenen Hosen und Unterhemd, spähen nach draußen, mit zusammengekniffenen Augen, unentschlossen, während Bensons Benz vorbeirauscht und Staub aufwirbelt.
Benson hat vorne neben dem Chauffeur Platz genommen, mit Strohhut und Ray-Ban-Sonnenbrille, ein Safari-Reiseleiter. Ling, zwischen Fola und Olu, wirkt angespannt. Sadie sitzt zwischen Taiwo und Kehinde dahinter.
»Ich erinnere mich an diese Straße«, murmelt Fola.
»Du warst hier?« Benson dreht sich zu Fola um, und Olu weicht zurück.
»Nur einmal. Und zu spät.« Sie legt die Hand auf Olus Rücken. »Du warst auch dabei, Schatz.« Ein Zucken, oben rechts.
Der Wagen ist oben auf dem Hügel angekommen und fährt dann zum Wasser hinunter. Die Straße ist vom Ufer durch eine Wiese getrennt. Sie drehen alle die Köpfe und starren hinaus, so wie man das immer macht, wenn man den Ozean monatelang nicht gesehen hat und wieder schockiert ist von seiner unendlichen Weite. Selbst Sadie tut nicht mehr so, als schliefe sie gegen ihren Bruder gelehnt, richtet sich auf und schaut durch die Scheibe.
Es beginnt eine halbherzige Mauer aus Mörtel
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