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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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nicht, was sie sagen soll. Er hat es noch nie gewusst.
    »Vergiss es«, sagte sie. »Wir sollten schlafen«.
    Er hört, wie sie ihre Position verändert, und muss an das andere kleine Zimmer denken, das sie miteinander geteilt haben, er denkt an ihre erste Nacht in Lagos, kann sie beide dort sehen, wie betäubt; kann ihren widerlichen Onkel hören: »Bring unsere Zwillinge in ihre Zimmer.« Kann Auntie Niké sehen, wie sie sagt »Das Zimmer hier ist für Taiwo«, und wie sie seine Schwester hineinschubst, und wie sich Taiwo zu ihm umdreht, ein wildes Flehen in den Augen, ein Blick, der sagt
Lass mich nicht allein hier
. Aber Auntie Niké drängte ihn weiter, den Flur entlang, zum nächsten Zimmer, das noch viel kleiner war, mit zwei schmalen Betten. »Das ist dein Zimmer«, sagte sie eisig. In der Ecke stand ein Gitterbett. Auntie Niké bemerkte seinen Blick. »Das wird noch rausgeräumt.« Er betrat das Zimmer, während sie ihn von der Schwelle aus beobachtete. »Jemand bringt gleich eure Sachen hoch,
ehn
? Wartet hier. Ihr könnt schlafen, wenn ihr wollt. Wir rufen euch dann zum Abendessen.«
    »Danke«, murmelte er.
    »Danke,
Auntie
.« Sie ging.
    Eine Weile saß er nur da und schaute sich um in dem kleinen Zimmer, geäderter Marmorfußboden, vergitterte Fenster, das große Gitterbett. Er schaute aus dem Fenster und sah die Rückfront des Gebäudes, einen großen, gepflegten Garten und einen riesigen Swimmingpool. Ein Gärtner war gerade dabei, die Hecken zu stutzen. Das erinnerte ihn an Fola, und er drehte sich weg. In der Tür stand ein Houseboy mit seinem Koffer.
    »Guten Abend,
Sa
«, sagte der Junge.
    »Ich bin Kehinde«, entgegnete er
    »Kehinde, Sa«, sagte der Junge. Verbeugte sich leicht. »Der Koffer.« Ehe Kehinde etwas sagen konnte, war er schon wieder weg. So war das hier: Leute erschienen in der Tür, verbeugten sich leicht mit gesenktem Blick, dann huschten sie davon. Sehr viele Bedienstete, mindestens zwanzig, für sie vier: Köche, Gärtner, Houseboys, Wachleute, alle männlich. Alle in weißen Hosen und weißem Hemd, ohne Schuhe, schlanke Jungen, ohne Namen, alle unter zwanzig Jahre alt, einer wie der andere, kaum zu unterscheiden, sie kamen leise durch die Tür, brachten Essen und Getränke oder sonst irgendetwas und verschwanden blitzschnell wieder.
    Er liegt da, wie erstarrt, und denkt an seine Schwester, eine Gestalt im Türrahmen, in dieser endlosen ersten Nacht, wie sie plötzlich im Mondlicht erschien, ihre Stimme ein Rettungsboot. »Kann ich hier schlafen, Kehinde?« Er hätte nein sagen sollen. »Es ist zu kalt in meinem Zimmer«, fügte sie hinzu. »Ich kann nicht schlafen.« »Ja, ich auch nicht«, sagte er, und sie kletterte in das Bett. In das andere, das bei der Tür, zu weit weg vom Fenster, zu heiß in dieser Nacht, mit der kaputten Klimaanlage. Eine Woche später wachte er auf, und da war sie zu ihm ins Bett gekrochen, ihre Füße bei seinem Kopfkissen: ein Junge und ein Mädchen, in dünnen Disney-Schlafsachen, zwei Kinder, die er seither nie mehr gesehen hat.
    8
    Fola liegt da und schaut im Dunkeln zu Sadie, die ganz leise schnarcht, als würde sie seufzen, auf der anderen Seite des riesigen Bettes, die Hände zu kleinen Fäusten geballt, wie immer, wenn sie schläft, eine lustige Gewohnheit, die sie seit dem Tag ihrer Geburt hat.
Lebendig, wenn auch nicht unbedingt in bester Verfassung
, denkt Fola mit gerunzelter Stirn, und plötzlich fragt sie sich, ob das eigentlich genügt? Einer von sechsen lebt nicht mehr, und die vier Lebendigen sind wirklich nicht in bester Verfassung. Denn sie spürt es ja, sie
sieht
es, sie weiß es, es geht ihnen nicht gut.
    Ein einzelnes Gefühl packte sie, ein neues, nicht viel anders als Panik oder das Gefühl zu ertrinken, es ist, als würde sie auf lauwarmem, flachem Wasser treiben – das Gesicht dem Himmel zugewandt, Arme und Beine ausgebreitet – und plötzlich beginnt sie zu sinken, unerwartet, unwiderruflich, zu müde, um etwas dagegen zu tun, immer weiter abwärts, abwärts.
    Sie richtet sich erschrocken auf, versucht, gleichmäßig zu atmen, damit sie Sadie nicht aufweckt, aber sie bekommt nicht richtig Luft. Also schlüpft sie aus dem Bett und huscht ins Bad, macht aber nicht das Licht an. Steht nur da, bis sie sich beruhigt hat. Sie dreht den Wasserhahn auf, ein kleines Stück nur, um sich das Gesicht zu befeuchten, tupft sich die Wangen mit einem Handtuch trocken. Als sie das Handtuch sinken lässt, sieht sie ihr Spiegelbild im

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