Diese Dinge geschehen nicht einfach so
abrupt neben einem von einer Mauer umgebenen Grundstück anhält, ein Rad in einer Vertiefung, also in Schieflage, da funkeln alle ihn böse an, ihnen ist übel, und sie kapieren nicht, dass er hier parkt und keineswegs aus Versehen im Graben gelandet ist. Benson dreht sich um, weil er etwas sagen will, verstummt jedoch, als er ihre Gesichter sieht. Was er über die Lippen bringt, ist nur ein stockendes: »Ja. Gut. Okay. Also dann.«
Die Luft wird stickig, weil das Fahrzeug hält. Offenbar ist der Augenblick gekommen, auf den sie gewartet haben. Fola legt die Hand auf Olus Knie, das aufhört zu wippen. Ling registriert diese Geste und registriert auch, dass Olu nicht zurückzuckt. Kehinde fragt Sadie mit stummen Lippenbewegungen:
Alles okay?
Sie nickt. Dann schaut er zu Taiwo hinüber, die aus dem Heckfenster starrt. Benson nimmt noch einmal Anflauf, setzt Sonnenbrille und Sonnenhut ab, und nun kommt aus seinem Mund ein nicht besonders munteres »Wir sind da.«
3
»Da« ist eine kleine Siedlung am Dorfrand, ein staubiges Grundstück mit neun Hütten und einem Baum in der Mitte, der genau zur Umgebung passt, dieselbe Art von Baum, wie man sie auf all diesen Plätzen vorfindet, massiv, uralt, grau, verdreht, der dicke Stamm eine kleine Festung, erhabene Wurzeln, die durch die harte rote Erde dringen, knorrige Äste, die sich gebieterisch horizontal ausbreiten und unterwegs Blätter auf die Dächer fallen lassen. Ein Koloss. Darunter stehen fünf niedrige Holzbänke, im Kreis, eine Art Treffpunkt. Um ihn herum bilden sechs Hütten drei Seiten eines Quadrats, ihre Eingangstüren offen, so dass man in dunkle, kahle Räume blicken kann; hinter diesen Hütten zwei weitere und noch weiter hinten die größte oder höchste, eine Lehmhütte mit einem riesigen Strohdach.
Der Fahrer hat in dem Graben beim Eingang gehalten, der markiert ist durch eine Öffnung in der Mauer aus zerbröckelndem rotem Backstein. Stumm steigen alle aus, zuerst Benson, dann Olu, dann die anderen. Sie beschatten die Augen mit den Händen. Eine korpulente Frau in einem traditionellen Gewand aus einfachem schwarzem Stoff erwartet sie. Ein Tuch aus dem gleichen Stoff hat sie um den Kopf geschlungen, mit einer Schleife vorne, die kurzen grauen Haare sind darunter verborgen. Ihre Haut ist so glatt, dass sie viel jünger sein könnte, aber ihre Haltung ist die einer Frau, die siebzig harte Jahre hinter sich hat, den Ellbogen auf der Mauer, den Kopf auf die Faust gestützt, die Hüfte vorgeschoben, die andere Hand auf der Hüfte, als würde sie versuchen, das ganze Gewicht ihrer Vergangenheit auf dieser müden Mauer abzuladen, wenigstens für ein paar Atemzüge.
Fola geht auf sie zu, mit ausgebreiteten Armen, liebenswürdig wie immer. »Shormeh«, ruft sie.
»Ich bin Naa.« Die Frau seufzt.
»Naa, entschuldige, ja, natürlich.« Fola lacht. »Es ist so lange her, lieber Gott.«
Naa lacht nicht. »Seid willkommen in Ghana.« Sie richtet sich langsam auf, indem sie den Kopf von der Faust nimmt und ihren Ellbogen von der Mauer und ihren Blick von Fola. Durch diese Veränderung ihrer Haltung wird sie auf Sadie aufmerksam, die am Rand der Gruppe steht.
4
Sadie spürt den Blick auf ihrem Gesicht, zusammen mit der Luftfeuchtigkeit. Ein Druck oder ein Magnet. Es zieht an ihren Augen, aber das Kinn will aus Gewohnheit nicht nach oben, sondern sinkt auf die Brust, während ihre Augen aufwärts wandern. Sie schaut den Leuten selten in die Augen, wenn sie ihnen gegenübersteht, Mund oder Hände sind ihr als Blickpunkt lieber – alles, nur um den potentiellen Beobachter abzulenken, um zu verhindern, dass sie selbst zu intensiv oder zu lang gemustert wird. Das tut sie jetzt auch. Sie steht ein kleines Stück hinter Taiwo, in der Haltung einer kaputten Puppe. Diese Haltung hat sie in der Highschool bis zur Perfektion eingeübt: Schultern nach vorn gebeugt und die Flipflops nach innen gedreht, ein Arrangement der Gliedmaßen, welches ein so enormes Unbehagen ausdrückt, dass sich ihr Gegenüber unweigerlich ebenfalls unwohl fühlt und nach ein, zwei Sekunden wegschaut. Gleichmütig oder an Unbehagen gewöhnt, schaut Naa sie unbeeindruckt an und zieht dadurch ihre Augen noch weiter nach oben – und fixiert sie: Und Sadie kann nicht wieder nach unten schauen, weil sie so erschrickt über die verblüffende Ähnlichkeit.
Sie könnte ihre Mutter sein, diese korpulente Naa, sie hat die gleichen schrägen Augen (»halb-chinesisch«, sagt Philae), die gleiche Statur,
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