Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Schritte, die näher kamen. Highheels. Es war schwer zu sagen, worauf diese Predigt hinausgelaufen wäre oder wo sein Vater jetzt wäre, wenn sie etwas bewirkt hätte, ob Olu ihn wirklich zum Handeln angetrieben und ihn überzeugt hätte, mit ihm zurück nach Boston zu kommen. Wer weiß? Aber da war sie plötzlich, die Gestalt im Türrahmen, irgendeine schlanke andere Frau, mit langen, feinen Zöpfen, ziemlich attraktiv in ihrem Hosenanzug – das war’s, seine zweite Reise nach Ghana war beendet.
»Hallooo!« Unüberhörbar ein regionaler Akzent, sorgfältig gefiltert durch das Sieb einer gekünstelten Aussprache. »Wie geht’s?« Sie ging auf Olu zu. »
Akwaaba.
Herzlich willkommen.«
»J-June«, stotterte Kweku. »Ich wusste nicht, dass du da bist.«
Olu stand da, blinzelte, er konnte sie nicht sehen, konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen, sich nicht rühren, nicht sprechen. Die Frau sagte auf Ga etwas zu seinem Vater, warf dann ihnen beiden eine Kusshand zu und entschwebte. Kweku setzte an: »Ich …«, »Du …«, »Wir sind nicht …«, dann entschied er sich für: »Es ist nicht so, wie es aussieht. Aber ich hätte es dir sagen sollen.«
»Was hättest du mir sagen sollen? Dass du mit dieser Frau zusammen bist?«
»Das ist nur für jetzt«, entgegnete Kweku. »Nur vorläufig. Sie hilft mir, in Ghana eine Praxis aufzumachen. Es ist schwer reinzukommen. Hörst du mir überhaupt zu?«
Olu hörte ihm nicht zu. Er setzte den Rucksack auf und marschierte, die Gurte umklammernd, zur immer noch offenen Tür. Kweku wollte ihn festhalten. »Fass mich nicht an!«, schrie Olu und ging.
Die Treppe hinunter.
In die Sonne.
Dann zurück zum Flughafen. Zu Fuß bis zur Kreuzung. Mit seinem Rucksack sah er aus, als würde er per Anhalter fahren. Ein alter Jeep mit Studenten, die meisten Deutsche, hielt an, um ihn mitzunehmen, sie setzten ihn freundlich an der Flughafenstraße ab, staubbedeckt. Dann zum Check-in, wo er die Leute anflehte, seinen Rückflug auf ein Stand-by noch heute Abend umzubuchen. Wieder in Yale. Am Tag nach der Feier, der Campus noch halb geschmückt, wie eine Debütantin, die von einem Ball nach Hause stolpert.
Der Gedanke an den Geruch (Jean Naté; nicht ganz, eher: Mottenkugeln) löst bei Olu immer noch den Wunsch nach frischer Luft aus. Er versucht, das Fenster hochzuschieben, als jemand ihm zärtlich über den Rücken streicht. Woraufhin sofort ein »Fass mich nicht an!« aus ihm herausbricht.
»Entschuldigung«, stammelt Ling und weicht erschrocken einen Schritt zurück. Verlegen dreht er sich zu ihr um, fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Sie mustert ihn besorgt, will ihn umarmen, und er spürt, wie er, wenn auch nur minimal, wieder ausweicht. »Warum tust du das?«, fragte sie ihn. »Wenn ich dich berühre – du zuckst zusammen, sobald ich dich anfasse.« Sie verschränkt die Arme. »Es ist okay, wenn du weinst …«
»Tu ich nicht. Ich weine nicht.«
»Ja, klar. Du weinst nie.« Sie setzt sich aufs Bett.
Er seufzt. Er merkt, dass er etwas sagen muss, um die von ihm geschaffene Entfernung zwischen ihnen zu überbrücken. »Ich habe mit meiner Schwester getauscht«, erklärt er ihr. »Mit Taiwo. Sie teilt sich jetzt das Zimmer mit Kehinde, und ich bin hier bei dir.« Er setzt sich neben sie und legt die Hand auf ihre Schulter. Sie lehnt sich an ihn, die Arme um seine Taille geschlungen. Er küsst sie auf den Kopf, aber weil seine Arme bleischwer und ganz schlaff sind, kann er sie nicht so umarmen, wie sie es gern hätte.
7
Kehinde kommt ins Zimmer und sieht, dass Olu schläft, dann merkt er, dass die Gestalt zu klein ist für Olu. Er legt sich ins Bett und wartet auf etwas, einen Riss in der Stille.
»Ich habe ihn gesehen«, sagen sie beide.
Kehinde dreht sich um. Er wollte Taiwo erzählen, was er gerade Sadie erzählt hat. Stattdessen sagt er: »Wen?«
»Onkel Femi«, flüstert sie, ohne sich zu ihm zu drehen. »In so einer Zeitschrift.
Ovation
. Lag im Wohnzimmer rum.«
Der Name geht ihm durch und durch, mitten ins Zentrum. Seine Lunge spuckt Luft aus, zerspringt in zwei Teile. »In diesem Haus?«
»Auf einem Foto, mit Niké«, beginnt sie. Dann: »Ach, vergiss es einfach.«
»Ich kann es nicht ›einfach vergessen‹«, erwidert er.
»Na ja – versuch’s.«
»Ich versuche es schon die ganze Zeit«, sagt er.
»Na ja – dann versuch’s eben noch ein bisschen mehr.«
»Taiwo«, sagt er.
»Was willst du – was soll ich sagen?«
Kehinde weiß
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