Diese Dinge geschehen nicht einfach so
gehasst hatten, aber nicht loswerden konnten. Wie alles, was man hasst, wollte sie einfach nicht verschwinden.
Er setzte sich an den Tisch und öffnete seinen Rucksack, wühlte nach der Zahnbürste und entdeckte dabei ganz unten das kleine Zelt, das er letzten Sommer hineingequetscht hatte, als er mit Ling in New Hampshire wandern war. »Mein Zelt.«
»Ich habe gedacht, wir schlafen beide in dem Bett im Schlafzimmer«, sagte Kweku und schaute ihn fragend an.
»Nein, nein, ich habe es aus Versehen mitgebracht.« Jetzt lachte Olu richtig, sein Vater ebenfalls, ein merkwürdiges Geräusch, viel trauriger als Schreien oder Schluchzen. Er fasste wieder in den Rucksack, fand ein graues Yale-Sweatshirt. »College-Abschluss.« Jetzt dachte er wieder daran. »Die Feier ist heute.«
Kweku ließ gerade in der Küchenzeile Wasser in den Kessel laufen. »Was sagst du?« Er stellte den Hahn ab. »Ich konnte dich nicht hören. Was ist heute?«
»Abschlussfeier in Yale. Heute ist mein College-Abschluss.«
Der Metallkessel landete scheppernd in der Spüle.
Kweku drehte sich um, ächzte. Eine Feststellung, keine Frage: »Ich habe deinen College-Abschluss vergessen.«
»Ja, allerdings«, sagte Olu.
»Warum bist du – wie hast du – wie kannst du da nicht hingehen?« Er nahm wieder seine Brille ab. »Warum – warum bist du nicht dort? Warum bist du
hier
?« Rieb sich die Augen. »Abschlussfeier.«
»Spielt keine Rolle.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«
Olu zuckte die Achseln. »Es hat sich nicht gelohnt.«
»Wie meinst du das?« Kweku ließ nicht locker. »Du solltest in New Haven sein, nicht hier …«
»Du auch.«
Kweku schwieg. Dann nahm er ein paarmal Anlauf: »Ich …«, »Du …«, »Wir sind nicht …«, bis er sich entschloss zu sagen: »Hör zu. Das sind zwei verschiedene Dinge, und du weißt das, Olukayodé.« Olu runzelte die Stirn, zuckte zurück, als er seinen Namen hörte. Niemand nannte ihn je mit vollem Namen, außer Fola, und auch sie nur, wenn sie wütend war, also praktisch nie. »Das kannst du nicht
machen
…«, sagte sein Vater leise, stockend. »Aufgeben, wenn du gekränkt bist. Bitte. Das hast du von mir. Das ist das, was ich mache, was ich immer schon gemacht habe. Aber du bist anders. Du bist
anders
als ich …«
»Ich bin genau wie …«
»Du bist besser.«
Was war das, was da aus dem Nichts aufstieg? Mitleid? Scham? Der Wunsch, den Mann als Ganzen zu sehen, nicht hier, wie er in einer kahlen Wohnung stand, seine Hosen immer noch gebügelt, als wäre er zu Hause, aber er war hier nicht zu Hause, in diesem Dreckloch. Ein Gefängnis, das er sich selbst geschaffen hatte, im Exil, abgeschnitten von der Familie und schlimmer noch, mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes ohne Ehre oder jedenfalls eines Mannes, der denkt:
Ist das mein Leben?
Olu konnte immer noch nicht sagen, was er gedacht hatte, in Ghana zu finden, aber das hier war es garantiert nicht, diese, heiße, halb möblierte graue Wohnung, der kleine Mann in dieser Wohnung, der jetzt zurückwich, sich hinsetzte, zu beschämt, um zu stehen. Wie war sein Vater zu diesem Gesichtsausdruck gekommen: besiegt und bereit, die Niederlage zu akzeptieren, ohne Widerstand zu leisten, ohne sich zu wehren – als würde irgendwo in ihm jemand leben, der sich hier ganz und gar zu Hause fühlte, in diesen Fluren, mit schmutzigen Fenstern, nackten Glühbirnen, dem Gestank von Urin, dem Beton, abblätterndem Verputz, egal, ob die Hosen gebügelt sind oder nicht? Es war dieser Jemand, den er hasste, dieser Mann in Kwekus Innerem, auf den er so wütend ist und den er jetzt anbrüllte: »Du bist derjenige, der besser ist, verdammt nochmal, nicht ich. Ich bin nicht anders.
Du
bist es. Du bist besser als das hier.«
Darauf Kweku, sehr sanft: »Das hier? Hier komme ich her.«
Als wäre das alles, was gesagt werden konnte.
Als wären zweiundzwanzig Jahre, der ganze Aufwand, nur ein kurzer Zwischenaufenthalt gewesen auf dem Weg zurück hierher; als wäre das Einzige, worauf man hoffen konnte, die Möglichkeit, den Kreis zu schließen und wieder im Grau zu enden, in der Asche.
»Nicht gut genug, Olu!«, schrie Olu. »Nicht gut genug! Das hast du immer gesagt, wenn meine Antworten falsch waren:
Das ist nicht gut genug, Olu! Du bist denkfaul! Denke gründlicher, klüger!
Nicht gut genug, Kweku …«, und er hätte weiter geredet, wenn da nicht dieses Geräusch gewesen wäre: eine Tür draußen auf dem Flur, die sich quietschend öffnete. Dann
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